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1979
19.08.12
Wenn überhaupt ein bestimmtes Datum für eine grundlegende Wende in der Wirtschaftslage nach dem zweiten Weltkrieg genannt werden kann, dann das Jahr 1979, und zwar genauer der 6. Oktober. Oft wird das Aufkündigung der Wirtschaftsordnung nach Bretton Woods im Jahr 1973 als das bedeutungsvollere Datum angesehen. Aber tatsächlich wurden dort nur einige Bedingungen gesetzt, die schließlich zu den Maßnahmen des Jahres 1979 führten. Was in diesem Jahr geschah, betrifft das Verhältnis von Staaten zu Banken, von privaten zu öffentlichem Krediten, von Vermögen zu Konsum fundamental.
In diesem Jahr werden einige entscheidende Stellhebel umgelegt. Alle Maßnahmen haben einen gemeinsamen Effekt. Von nun an geht es den Lenkern der Volkswirtschaften nicht mehr um die Förderung des Konsums, sondern um das Wachstum der Vermögen.
Die Wende hat sich im Lauf der 70er-Jahre angekündigt, als der Konsens zwischen Wohlfahrts-Staat und Kapital auseinander bricht. Schon im Verlauf der 60er hatte sich gezeigt, dass ein System fester, indirekt an Gold gekoppelter Währungen dem exponentiellen Wachstum der Produktion und vor allem des globalen Handels nicht gewachsen war. Der Bedarf an internationalen Zahlungsmitteln, in dem Fall also Dollars, wurde schlicht zu groß. Schon 1968 konnte die USA ihr Handelsdefizit nicht mehr mit Gold ausgleichen. Technisch gesehen war das Land Pleite, jedenfalls nach den Regeln der damaligen, auf dem Edelmetall basierten Währungsgemeinschaft. (Hudson2003: 263ff) 1971 schließlich zerbrach das System der in das Goldkorsett gezwungenen festen Wechselkurse.
Mit dem Wegfall der Goldbindung verschärfte sich das Inflationsproblem. Zwar konnte nun dank ungebremster Geldschöpfung der Vietnamkrieg, die Aufrüstung, das Mondlandeprogramm und was auch immer finanziert werden. Aber die Gelder flossen schließlich in den Konsum zurück und trieben die Preise.
Die zweite und fast wichtigere Folge war die Entwicklung der post-modernen Kreditmaschine. Mit der Abschaffung der Goldbindung wurden Staatsanleihen zum wichtigsten und “sichersten” Wertspeicher. Genauso stabil wie die Währungen selbst boten sie zudem Zinsen zum Inflationsausgleich. Gleichzeitig aber waren sie den Währungsrisiken der Auf- und Abwertung unterworfen, was den Handel – und die Spekulation – beflügelte.
Den Regierungen und Zentralbanken entglitt langsam die Kontrolle über die Geldmenge. Die Geldschöpfungskapazität des privaten Bankensystems wurde auch für die öffentlichen Finanzen unentbehrlich. Schließlich konnte die amerikanische Zentralbank ihrer Aufgabe, eine für Vollbeschäftigung und Preisstabilität angemessene Geldversorgung aufrecht zu erhalten, nicht mehr nachkommen.
Am 6. Oktober 1979 verkündete der Präsident der Zentralbank Paul Volcker, dass man sich fortan zentral um die Bekämpfung der Inflation kümmern werde. Seine Maßnahmen lösten eine schwere Rezession aus. Die Arbeitslosigkeit stieg rapide an, der Leitzins unter starken Schwankungen ebenso. Der Markt für Staatsanleihen verwandelte sich von “einer Abstellkammer in ein Spielcasino” (Liars Poker39). Das Ziel wurde indessen erreicht. Die Inflation fiel von 15 auf 5 Prozent. Die Kollateralschäden allerdings waren erheblich.
Der Wandel betraf vor allem das Verhältnis des Staates zu den Banken, oder anders gesagt, die Machtfrage zwischen Öffentlichkeit und Vermögenden. Indem der Staat die Geldschöpfung mehr oder weniger freigab und die Zinsen für seine Anleihen dem Markt überließ, verzichtete er auf zwei fundamentale Pfeiler staatlicher Souveränität in wirtschaftlichen Fragen. Dort formierte sich eine andere Macht, die weder wählbar, noch auch nur sonderlich sichtbar wurde.
Die Institution, die im Kampf gegen die Inflation – oder für den Profit – auf der Strecke blieben, waren die Gewerkschaften. Sie mussten im Interesse der volkswirtschaftlichen Steuerung zerschlagen werden. Hier war bereits ein Punkt erreicht, an dem der Ausverkauf des Staates an den Kapitalmarkt keine Optionen mehr offen ließ.
Damit änderte sich die Haltung zur Arbeit von Grund auf. Seither gelten Arbeiter nur noch als Kostenfaktoren. Und auf der andere Seite stammen die Profite nicht mehr aus dem Konsum, sondern leiten sich aus der Geldschöpfung ab. Waren die Einkommen vorher mit der Gleichung Lohnzuwachs gleich Inflation plus Produktivitätszuwachs an die Wirtschaftsentwicklung gebunden, konnten sie nun stagnieren, oder in realen Summen sogar fallen. Seither sinkt die Lohnquote, also der Anteil der Löhne am volkswirtschaftlichen Gesamteinkommen, während die Einkünfte aus Kapitalanlagen zunehmen.
Die Kehre von Volcker hatte auf die Wirtschaftstheorie eine eigentümliche Wirkung. Man erfand die sogenannte NAIRU, die sogenannte Non-accelerating Rate of Inflation, um Inflationsrate und Arbeitslosigkeit als voneinander abhängig darzustellen, als bezeichnendstes Beispiel eines vollständig interessengeleiteten ökonomischen Theorems. (Mitchell2009 )
Um die Inflation niedrig zu halten, mussten die Löhne begrenzt werden. Zu diesem Zweck verfiel man auf die Idee, eine bestimmte Rate von Arbeitslosigkeit herzustellen. Sie dient als Mittel, um in einer Welt unbegrenzter Geldschöpfung, Löhne und Inflation im Interesse der Profite niedrig zu halten. Wie ein amerikanischer Notenbankpräsident namens Goodfriend noch 2003 erklärte: „the fundamental principle of price stability: inflation will remain low and stable if and only if departures from profit-maximizing markups are expected to be relatively small and transitory across firms … “ (Goodfriend 2003). Inflationsbekämpfung ist kein Selbstzweck, sondern dient der Maximierung der Gewinne. Und Arbeitslosigkeit ist kein Unglück, sondern eine vom sogenannten Markt diktierte Maßnahme im Interesse der Vermögen und ihrer Vermehrung.
Auf der anderen Seite dagegen gelten die umgekehrten Regeln. Hier wird Sparsamkeit gepredigt. Nicht nur was Lohnsteigerungen angeht, sondern was die gesamte Lebensführung betrifft. Der 1972 erschienene Report des Club of Rome gab die Vorlage. Auf einmal stellte sich heraus, dass die globalen Rohstoffe endlich waren. Und dass die Menschheit im Einklang mit der Natur leben sollte, anstatt ihren eigenen Planeten weg zu fressen. Die Aufrufe zur selbstauferlegten Askese spiegelten das ökonomische Gebot der Stunde. Wie in einem Effekt der kognitiven Dissonanz passt sie das gesellschaftliche Bewusstsein den Geboten der herrschenden Ordnung an. Nicht dass die Annahmen falsch wären und der Aufruf zu Nachhaltigkeit schädlich. Sie galten vorher genauso wie nachher und sind in diesem Sinn universell. Aber sie passten eben in ein Szenario, das ökonomisch gewollt war.
An der Ökologie-Bewegung der 80er Jahre zeigt sich, wie Mentalitäten und Haltungen einer Zeit, der sogenannte Zeitgeist, sich als Geist ganz im Hegelschen Sinn der Ordnung der Obrigkeit unterordnete.
Obwohl die staatliche Gesamtsteuerung der Wirtschaft im engeren Sinn nun nicht mehr möglich war, musste doch ihr Funktionieren gewährleistet bleiben. Eine Ideologie, die in jedweden staatlichen Eingriffen die Ursache der Krise sah, kam da gerade recht. Sie war über Jahrzehnte von neoliberalen Netzwerken wie der von Friedrich Hayek 1947 gegründeten Mont Pelerin Society ausgearbeitet worden (Mirowski/Plehwe: 2009). Die verschiedenen Richtungen dieser Denkschule eint ein gemeinsamer Feind: der “Sozialismus”, den sie in allem erblicken, was das “freie” Wirken der Marktkräfte behindert. Sie propagieren eine Freiheit, die im Sinn der Investoren und Unternehmer vor allem eine Freiheit des Stärkeren und des wirtschaftliche Mächtigeren ist.
In einem solchen ideologischen System können wirtschaftliche Akteure alles angreifen, was ihnen als Hemmnis für die Marktwirtschaft erscheint. Ob Schulen, Schwimmbäder, Turnhallen oder Krankenhäuser, Bildungseinrichtungen, Sozialversicherungen oder die Wasserversorgung, alles, was nicht privatisiert ist, kann diesem Denken nach den Wohlstand der Gesellschaft nur vermindern, denn am freien Markt ließe sich angeblich eine effizientere Lösung finden.