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Eberhard Rathgeb Rezension: “Mehr Geld”
30.11.08
Eine Rezension in der F.A.S vom 30.11.
Mehr geht nicht mehr
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Das Buch hat keine Feinde, Leute wie Banker, Manager und Unternehmer. Die Autoren analysieren. Sie verlassen sich auf ihre eigenen Kräfte. Sie graben in ihrem Kopf. Sie sagen, was sie wissen, nicht, was andere sagen. Sie setzen die Welt nicht auf neue Geschichten, sondern auf Begriffe. Mit einem solchen Buch, das die Karten auf den Tisch legt, kann man wieder einen linken Kongress über den Kapitalismus einberufen. So weit hat es der ökonomische Kollaps hierzulande gebracht.
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Das Geld ist heute auch für die, für die das Geld normalerweise kein Problem ist, zu einem Problem geworden, über das sich ohne Probleme reden lässt. Als hätten die Leute mit einem Mal gemerkt, dass Geld nicht nur die glatten Scheine sind, die sie am Bankautomaten ziehen, um sie in der Friedrichstraße oder sonst wo zu verjuxen. Sondern etwas anderes, Großes, Dunkles, Mächtiges, Schicksal, Gott, ja, weiß der Kuckuck. Unter den alten und neuen Ökonomen stehen die beiden Autoren, um die es hier geht und die noch dazu keine Wirtschaftsfachleute von Haus aus sind, erst einmal verloren da. Das wird sich ändern. Denn bei den Heidenreich-Brüdern fühlt man sich sofort gut aufgehoben. Denken im Kollektiv, und mag es auch ein Minikollektiv sein, kann erfolgreich sein.
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Die beiden gehören zu den linken Brüdern, die sich nicht erst seit dem allgemeinen Debakel ihre Gedanken über die Finanzwelten machen. Sie sind keine Anfänger, denen erst die Krise den Kapitalismus in ein schiefes Licht gerückt hat. Die Ökonomie war ja in kritischen Glanzundgloriazeiten ein Pflichtfach der linken Intelligenz gewesen. Das “Kapital” lesen! Das Büchlein der Heidenreichs ist wahrscheinlich das sympathischste von allen Büchern über das drohende Ende. Es soll, heißt es im Nachwort, auf der Grundlage einer jahrelangen theoretischen Beschäftigung mit der Wirtschaft und dem Geld entstanden sein, angefangen bei einer frühen Marx-Lektüre.
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Die beiden Brüder haben sich vor drei Jahren, als die neuen und die meisten alten Ökonomen noch mit ihrem Geld und dem Geldsystem zufrieden waren, für ein paar Tage zusammengesetzt. Der eine habe gemacht, was er kann: reden; der andere habe ebenfalls gemacht, was er kann: schreiben. Auf diese lockere Weise sei ein Buch zustande gekommen, in dem man nun vor allem ein vorbildliches Dokument spontan sich äußernden linken Sachverstandes sehen muss. Zwei setzen sich an einem frühen Nachmittag der neuen Weltgeschichte hin und erklären, wie sie die Dinge sehen, ja, wie sie die Dinge schon die ganze Zeit gesehen haben. Das stimmt jeden froh, dessen Herz nicht kalt und mit Geld aufgewogen ist. Das Buch ist nicht mit links zusammengeschustert, es ist aus einem öffentlich mehr oder weniger brachliegenden linken Acker wie ein Bündel Kartoffelblüten emporgeschossen. Jeder sollte es unterm Weihnachtsbaum liegen haben.
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Verhandelt werden Staat, Demokratie, Konsum, Wahl, Finanzen, Kredit, Motivation, Preis, Kriege, Amerika, die Mittelschicht, Design, altes Geld, neues Geld, Tausch, Gabe, Image, Verlangen, Netzwerke, und, ja, die olle Deleuze-Guattari-Wunschmaschine ist auch dabei. Und verhandelt wird das spannend und konzentriert, ohne den häufig üblichen Wörterflitter. Die beiden sind keine Sonnenkönige der Bibliotheken, und ihr Buch ist deswegen auch kein Theorieversailles mit endlosen Referenzräumen für diesen und jenen magischen Analytiker, mit denen in Form kritischer Referate die Hütten andernorts immer zugestopft werden. Das Buch der Brüder ist aber auch keine mentale Wurstbude, wo dem Volk fette Happen angeboten werden. Es dreht sich darin dennoch um alles, was heute das aus dem Leim gehende Heute ausmachen soll. Mit einem Wort: Es geht um das Mehr! Um die Mehreslust der kapitalistischen Gesellschaft.
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Welche Schlüsse kann man aus dem Büchlein ziehen? Die Linke wollte einmal Theorie und Praxis über den Begriff verbinden. Noch der unpraktische Adorno fand das eine gute theoretische Tat: eine Sache auf ihren Begriff zu bringen. Das “Kapital” von Marx hatte auch diesen wahnsinnigen Anspruch, der wahrscheinlich zu einer verrückten Welt sehr gut passt. Die Heidenreichs aber machen da nicht mehr mit. Die Heidenreichs haben aus der linken Geschichte der letzten Jahrzehnte gelernt, die vor allem eine Theoriegeschichte über die Unmöglichkeit einer radikalen linken Praxis gewesen ist. Die Heidenreichs machen es ein wenig so wie Mao: Sie fassen sich kurz, schreiben auf, was ihnen zum Kapitalismus und seinen Stichworten einfällt, und zwar nicht, indem sie sich zum Nachdenken zurückziehen, sondern indem sie miteinander reden. Das Ergebnis ist ehrlich, ein redigiertes Denken in Echtzeit, und folglich etwas aphoristisch. Entstanden ist eine Art kleiner Montaigne der Geldweltkritik. Für sattelfeste Begriffsbildungen braucht man mehr Zeit. Die Heidenreichs haben sich wahrscheinlich gedacht: Mehr geht auch und gerade hier nicht mehr. Diese Zurückhaltung nun führt ganz sicher nicht dazu, dass morgen die zweite November-Revolution ausbricht, morgen ist auch schon der 1. Dezember. Ein solches Begriffsgesprächsbuch zu zweit macht auch noch keinen radikalen Kapitalismuskritiker. Doch über den Kapitalismus und Verwandte wird man sich auf dem kommenden Kongress streiten können.
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Traurig ist etwas anderes, und das wäre bei Montaigne nicht vorgekommen. Traurig ist, dass keiner nach der Lektüre sein Leben auch nur ein Fitzel ändern wird. Das ist wieder ein echtes linkes Theorie-Praxis-Problem. Keiner aus der Mittelschicht, an welche die Autoren mehr oder weniger die ganze Konsumlustlast gehängt haben, wird sagen: So nicht weiter. Es wäre ja mal was, wenn die Bewohner von Mittelerde in der vielbeschworenen Not der Stunde darüber nachdächten, wie sie ihr Geld verdienen, wohin sie es bringen. Ob ihr Unternehmen ethisch-moralisch zu rechtfertigen ist, ob die Bank, auf die sie ihr Geld überweisen, mit dem Geld ethisch-moralisch umgeht. Seit Jahren kann jeder sich darüber Klarheit verschaffen. Aber nein. Offensichtlich lebt die Mittelschicht, die sich einiges darauf zugutehält, aufgeweckt und stilvoll in ihren Unterschieden zu sein, in dieser Hinsicht gerne blind, breit und bequem. Stattdessen wenden sie sich angeekelt von den Unterschichten ab, weil die anscheinend keine Kultur haben, und predigen denen, die immer billig einkaufen gehen müssen, Konsumverzicht, die moderne säkulare Variante des protestantischen Verzichtes.
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Man sieht dem nahezu jargonfreien Text der beiden Brüder die linken Lektüren wie Stirnfalten an, Bourdieu, Sohn-Rethel, Foucault und Agamben. Auch Marx wird genannt, kurz und mit dem Hinweis, die Marxisten würden die neuen ökonomischen Theorien nicht zur Kenntnis nehmen. Welche Marxisten? Immerhin: Das Büchlein ist gelungen und, vor allem, groß genug, um als Sammelbecken zu dienen. Am Ende dieses Jahres kann kein linker Bruder mehr erwarten.
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EBERHARD RATHGEB