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Was nicht tun?

01.10.05

Not a drop but the Fall / Künstlerhaus Bremen, Susanne Pfeffer

(pls scroll down for the english translation)

Was nicht tun?

Kann sein.

Sich etwas zu wünschen, etwas zu planen, etwas tun zu können – es aber doch zu lassen, es nicht getan zu haben, es vielleicht nie zu tun. All das führt aus der Welt der Fakten und des Ja-Nein in einen anderen, spekulativen Raum. Es gibt dort nicht nichts. Der Raum der Möglichkeiten, der Pläne und Wünsche ist nicht leer, auch wenn die Ausstellung ihn fast leer lässt. Vielmehr lenkt sie den Blick darauf, welche Verhältnissen ihn bestimmen. Von dem Werk, das da sein könnte und nicht da ist, lässt sich ein Zirkel durch die verschiedenen Parameter ziehen, die seine Möglichkeit herstellen. Der Kreis durchläuft das mögliche Werk, seine Stelle im Raum, den Raum selbst und die Bedingungen, unter denen es nicht zustande kommt.
Wie in alle Zirkel, kann man auch in diesen an einem beliebigen Punkt eintreten. Der Einstiegspunkt ist nicht neutral. Mit seiner Wahl ist eine Perspektive auf Zusammenhänge, Ursachen und Wirkungen verbunden. Am Beginn könnte die Einladung an die Künstler stehen, also die Perspektive der Produktion. Oder das Schild an der Wand und damit die Perspektive des Rezipienten.

Die leere Stelle
Eine Stelle kann nur dann als leere sichtbar werden, wenn sie reserviert und bezeichnet ist. Die Leere wird damit zu einer Frage des Formats. Das Format legt fest, wo etwas zu stehen hat. Das einfachste Beispiel sind unsere Zahlen und ihr Stellenwertsystem. Zwischen den Zehnern und den Tausendern stehen die Hunderter. Ein Null bezeichnet das Nicht-Vorhandensein einer Position, also die leere Stelle.
Auch Kunst besitzt ein solches Format. Gerade deshalb, weil ansonsten kaum etwas ausgeschlossen wird, spielen Fragen des Formats eine besondere Rolle. An Stelle des Begriffs Format kann man auch von Paratexten wie Gérard Genette oder von Metadaten wie Lev Manovich sprechen.
Das Format ist in der Ausstellung in Form der Schilder sichtbar. Sie nennen den Namen eines Künstlers, Geburtsdatum und – Stadt, meistens einen Titel mit Jahreszahl, dazu weitere Angaben zur Arbeit. Dass diese diese Angaben nie Nebensächlichkeiten sind, wird nirgends deutlicher, als in dieser Ausstellung.
Die Metadaten der Kunst nennen die Parameter, nach denen ein Werkes in den Betrieb der Kunst eintritt. Schon der Name des Autors ist alles andere als selbstverständlich. Michel Foucault hat gezeigt, wie die Position des Autors in einem Diskurs gesetzt wird und welche Funktionen sie erfüllt. Es gibt genügend kulturelle Formen, die den Namen des Urhebers nicht nennen. Das gleiche gilt für die Jahresangeben. Hinter ihnen verbirgt sich eine das des Museums als Institution begründende Methodik der historischen Wissenschaften.
Das Format übt Macht aus. Manchmal erscheint das einzelne Werk geradezu als ein Beiwerk zu seinen Metadaten. Wenn etwa eine Sammlung sich der Vollständigkeit halber noch um ein Werk von XY bemüht, so bleibt es sich oft genug gleich, um welche Arbeit es sich genau handelt. Der Namens-Effekt beherrscht den Markt und seine Preise. Er zeigt sich auch an der beinahe kultischen Verehrung der Namenslisten von Großausstellungen.

Der Raum
Räume leer zu lassen und Werke nicht zu realisieren, kann seit den Anfängen der konzeptuellen Kunst nicht mehr als etwas Neues gelten. Sol LeWitt oder Michel Asher haben ihre Varianten dieser Option in den sechziger und siebziger Jahren durchgespielt. Die Ausstellung erinnert daran. Wie alle Erinnerungen macht sie auf die Umstände aufmerksam, die sich seither geändert haben.
Der Raum, der leer gelassen wird, ist nicht mehr derjenige der Konzeptkunst. Die Entscheidung, den Raum leer zu lassen und die Werke nicht auszuführen, übernimmt eine Strategie der Konzeptkunst, und weist damit auf den Zustand eines Systems hin, das sich im Umbruch befindet.
Die Entleerung der Museen, die Künstler erprobt haben, ist auf einem ungeahnten Weg wirklich geworden. Der Hochkonjunktur der Museumsbauten zum Trotz befinden sich die großen Institutionen der Kunst sich in einer prekären Lage. Als repräsentative Hüllen sind sie begehrt, aber es wird zusehends fraglich, was sie enthalten sollen. Die Mittel zum Errichten der Museen scheinen im gleichen Umfang zuzunehmen, wie die Gelder für den Aufbau ihrer Sammlungen fehlen. Die repräsentativen Häuser werden schon als Leeerräume gebaut.
Zwei verschiedene Strategien drängen sich in die Bresche der Museumslandschaft.
Die eine versucht die repräsentativen Hüllen mit temporären Events zu nutzen, indem sie die Klassiker der Kunst als Spektakel vorführt. Sie mobilisiert eine letztes Mal ein kulturelles Kapital, dass man bereits im Absterben wähnte, und das tatsächlich abstirbt, wenn temporäre Events an die Stelle der Sammlung treten. Die andere Strategie gibt die öffentliche Verfügung über die Räume auf und überlässt das Museums privaten Sammlern, die die repräsentative Position zur Aufwertung ihrer Bestände nutzen.
In beiden Fällen werden die leeren Häuser voll, aber um den Preis, ihre kulturelle Souveränität aufzugeben. Das entspricht durchaus einer politischen Lage, in der die Souveränität der Nationalstaaten vergeht, und damit auch jenesdas Modell einer Kunst als Staatskultur an sein Ende kommt, das seit der bürgerlichen Vereinnahmung der feudalen Kunstschätze besteht.
Die Ausstellung erinnert an beides. Mit der Einladung, dem Werk keine Grenzen zu setzen, an das Museum als Modell kultureller Produktion. Und mit dem Verzicht auf die Ausführung an den aktuellen Zustand der Museen.

Keine Arbeit
Die Einladung, einen Plan auszustellen, fragt nach nichts spezifischem. Es gibt ganz ausdrücklich nichts, das ausgeschlossen wäre. Dennoch ist auch diese Einladung teil einer Konvention oder anders gesagt eines künstlerischen Formats. Sie macht die beiden Künstler, die sie aussprechen, zu Kuratoren. Curator heißt soviel wie Pfleger. Das Verb curare übersetzt man mit heilen, pflegen. Das Ausstellen wird eine Kur. Die Kuratierten sind die Künstler und sie sind damit auch die Kurierten. Ihre Arbeit ist ein Mittel, ein Medium, eine Medizin, ein Medikament ihrer Kur.
Sie unterliegen bei der Wahl ihrer Mittel der größtmöglichen Freiheit. Das ist ungewöhnlich. Denn es hat sich eingebürgert, dass die Pfleger, die sich Kuratoren nennen, sehr genau wissen, was sie wollen. Im Regelfall der Ausstellung traktieren sie die Künstler mit einem so genannten Thema.
Die ihrerseits reagieren darauf mit einem Rückfall in eine Arbeitsweise, die sie vor einem halben Jahrtausend schon ablegen wollten. Als sie ihre Berufsbezeichnung von der das Pittore, dem Malers als einem hochbezahlten und hochspezialisierten Anstreicher, zu der des Künstlers wechselten, vefolgten sie ein Ideal. Ihr Vorbild waren die artes liberales, die freien Künste, anders gesagt: die Wissenschaften, die zu freien Tätigkeiten qualifizierten. Das Ideal hinter dem Begriff der Kunst bestand darin, keine Aufträge mehr anzunehmen, sondern frei zu arbeiten. Genau diese Befreiung von den Dienstleistungen eines Scheinselbständigen besagt die Freiheit der Kunst. Sie meint nicht die Freiheit, beliebige Werke zu produzieren, sondern genauer und im Beamtendeutsch gesagt, die Befreiung von der Weisungsgebundenheit.
Die Ausstellung erinnert an diese ursprüngliche Freiheit der Kunst, indem sie sie freigiebig herschenkt. Indem sie die Einlösung der freien Pläne nicht fordert und das Werk ausstellt und gleichzeitig nicht ausstellt, zeigt sie das System Kunst, wie es sein kann und nicht ist.

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Not to do something?

Could be

To wish for something, to plan something, to be able to do something – yet not to do it, not to have done it, perhaps never to do it. All this takes us from the world of fact and of yes-no to another, speculative space. Where there is not nothing. The space of possibilities, of plans and wishes, is not empty, even if the exhibition leaves it almost empty. Instead, it guides our gaze to the conditions that determine that space. From the work which could be there but is not there, a circle can be drawn through the different parameters that create its possibility. The circle cuts through the possible work, its place in space, the space itself and the conditions under which the work is not produced.

As is the case with all circles, this one can also be entered at any arbitrary point. The point of entry is not neutral. The choice of point is linked with a perspective on connections, causes and effects. This could begin with the invitation to the artists, i.e., the production perspective; or with the caption on the wall, and thus the perspective of the recipient.

The empty place

A place can only become visible as empty when it is reserved and designated. The emptiness thus becomes a question of format. The format establishes where something is to stand. The simplest example are our numbers and their value system. Between the tens and the thousands are the hundreds. A zero designates the non-existence of a position, i.e., the empty place.

Art also has such a format. Questions of format play a particular role for the simple reason that otherwise almost nothing is excluded. Instead of the term format, one can, like Gerard Genette, also speak of paratexts, or of metadata, like Lev Manovich.

In the exhibition the format becomes visible in the form of the captions. They give the artist’s name, date and place of birth, usually a title with a date, and other data on the work. That these data are never irrelevant is nowhere clearer than in this exhibition.

Art’s metadata name the parameters according to which the work itself enters onto the art scene. Even the name of the author is anything but self-evident. Michel Foucault showed how the position of the author enters a discourse and fulfils functions. There are sufficient cultural forms that do not involve the function of the authors. The same applies to the references to dates. These conceal a methodology of the historical sciences which grounds the museum as an institution.

The format exercises power. Sometimes the individual work seems like a mere trimming for its metadata. When, for example, a collection strives to acquire another work by XY for the purposes of completeness, it is often irrelevant which work that is. The market and its prices are dominated by the effect of the name. This is evident in the cultic adoration of the lists of participants in large exhibitions.

The space

Since the onset of concept art, leaving spaces empty and not realizing works can no longer be regarded as anything new. Sol LeWitt and Michel Asher worked through their variations on this theme in the 1960s and 70s. This exhibition is a reminder of that. And like all reminders, it draws attention to the circumstances that have changed since then.

The space that is left empty is no longer the space of concept art. The decision to leave the space empty and not carry out the work appropriates a strategy of concept art and thus indicates a system that is in the process of change.

The vacating of museums, which artists have tried in their way to achieve, is taking place in an unexpected manner. Despite the boom in museum building, the large art institutions are in a precarious situation. They are much sought after as representative outer frameworks, but what they should contain is becoming more and more doubtful. The funds required for building these museums are increasing according as the funds for expanding their collections are decreasing. These representative buildings are empty, they are even built as such.

Two different strategies jump into the breach of the museum landscape: The one tries to use the empty spaces for temporary events by presenting art classics as spectacles. For one last time, a cultural asset is mobilised that was said to be disappearing, and which actually disappears when temporary events replace the permanent collection. The other strategy accepts that the spaces are no longer at the disposal of the public and leaves the museum to private collectors, who use the representative setting to enhance the value of their stocks.

In both cases, the empty buildings are filled, but the price is that they give up their cultural sovereignty. This is in keeping with a political situation in which the sovereignty of nation states is declining, ushering in the demise of the model of art as national art, that has existed since the bourgeois appropriation of the feudal art treasures.

The exhibition recalls both of these: through the invitation not to impose any limits on the work, it recalls the museum as a model of cultural production; through the renunciation of the realization work, it draws attention to the current state of affairs.

No work

The invitation to draw up a plan asks about nothing specific. There is nothing that would be expressly excluded. Yet this invitation is also part of a convention, or to put it another way, part of an artistic format. It turns the two artists who extended the invitation into curators. Curator means, among other things, carer. The verb curare can be translated as healing or caring. Exhibiting becomes a cure. The curated are the artists, and these are thus also the cured. Their work is a means, a medium, a medication for their cure.

In their choice of means, they are subject to the greatest possible freedom. That is unusual. It has after all become the done thing for those carers who call themselves curators to know exactly what they want. In the case of regular exhibitions, they afflict the artists with so-called themes.

They in turn react to this by regressing to a working method which they wanted to abandon half a millennium ago. When they changed their professional designation from pittore, the well-paid and highly- specialised painter, to artist, they were in pursuit of an ideal. Their model was the liberal arts, in other words: the classical disciplines with the freedom of sciences. The ideal behind this concept of art consisted of not accepting any more commissions, but working without regulations. The freedom of art means this very liberation from the services of an only apparently free-lance worker. It does not mean the freedom to produce any works whatsoever, but more precisely and in officialese, freedom from being subject to directives.

The exhibition recalls this original freedom of art by generously granting that freedom. By not demanding that the free plans be realised, and by exhibiting yet at the same time not exhibiting the work, it shows the system as it can be and is not.

Translated by Pauline Cumbers