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Bologna Bestiarium – Netz

22.10.13

Bologna Bestiarium bei Diaphanes
mit meinem Beitrag über das Netz:
Das Netz liegt im blinden Fleck der Bologna – Reformer. Denn Bürokraten verwalten die Welt, wie sie ist, nicht wie sie wird. So kommt es, dass man an vielen Orten über die digitale Revolution und das Netz redet, wenn es um Fragen der Universität geht, in Europa aber über Module, Punktesysteme und Verwaltungs-Routinen.

Was macht die Universität mit dem Netz? Oder vielleicht doch eher anders herum gefragt: was macht das Netz mit der Universität? Diese beiden Sätze fragen nicht Variationen desselben, sondern etwas ganz anderes.
Betrachten wir’s am Beispiel der Bibliothek, der anderen großen Institution der Bildung. Was macht die Bibliothek mit dem Netz? Sie stellt ihre Kataloge online. Sie führt Datenbanken. Sie lässt uns Bücher besser finden, schneller bestellen. Sie benachrichtigt Leser, wenn deren Leihfristen ablaufen. Sie organisiert ihren Betrieb besser, schneller und einfacher.
Aber was macht das Netz mit der Bibliothek? Es macht sie überflüssig.
(…)
Worin besteht die Rolle des Lehrers, wenn das Netz als Quelle von Wissen ernst genommen wird? Anstatt den Studenten Wissen nach Plan aufzuschwatzen, müssten die studentische Anliegen ernst genommen werden. Lehre, oder besser, Rat bräuchte es nur noch dann, wenn die Studenten nachfragen. Dann regiert nicht die Pflicht, zu lehren, sondern der Wunsch, zu lernen. Nicht mehr die Lehrenden, sondern die Lernenden wären die Hauptpersonen einer solchen Universität. Ganz so wie übrigens in Bologna im 11. Jahrhundert, wo die Universität von Studenten gegründet wurde und der Rektor immer ein Student war. Aber solche historischen Vorbilder unterschlagen die Bologna-Reformer lieber. Seitdem ein studentenzentriertes System an der Kunsthochschule Malmö – übrigens im Einklang mit den Vorgaben der Bologna-Reform – eingeführt wurde, hat es sich in ganz Skandinavien verbreitet. Der deutsche Lehrbetrieb ist davon noch gefühlte Jahrhunderte entfernt.
Ob die hiesige Universität überhaupt auf dem Weg der Reform die Herausforderungen des Netzes annehmen kann, steht in Zweifel. Seit man die Bologna-Reformen so deutsch und starr umgesetzt hat, dass die alte Verwaltungsherrschaft erhalten blieb und sich mit der neuen nur verzahnt hat, geht buchstäblich nichts mehr. Das Rad der Staats-Universität ist zum Stillstand gekommen. Vielleicht bleibt kein anderer Weg als der, im Netz eine neue Universität zu gründen.