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Forderungen

10.12.15

Merve Verlag 136 Seiten, 12€

Einleitung

Forderungen weisen nach vorne. Daher handelt unser Buch von Aussichten auf etwas Künftiges. Im ersten Kapitel geht es um das, was uns droht, wenn sich nichts ändert, und die Dinge so weiterlaufen, wie sie laufen. Das dritte Kapitel stellt dem drei utopische Modelle gegenüber. Der kurze Mittelteil betrachtet die Frage des Übergangs, also wie wir überhaupt von der gegenwärtigen Wirtschaftsordnung zu einer anderen kommen können.


Es gibt zwei Sorten von Forderungen. Solche, die an uns gestellt werden, und solche, die wir selbst stellen. Zahlungsforderungen gehören zu der Sorte von Forderungen, die an uns gerichtet werden. Sie sind der Rohstoff unserer gegenwärtigen Ökonomie. Nicht weil sie beglichen werden sollen – denn das würde der Vernichtung von Geld entsprechen – sondern weil sie selbst wieder als Geld zählen und als Forderungen in die Zukunft zeigen. In den Zahlungsforderungen verwandeln sich künftige Einnahmen in gegenwärtigen Wert. Hier liegt der Kern eines scheinbaren Widerspruchs, der die große Vermögensvermehrung unserer Zeit möglich macht. Je geringer unsere Erwartungen an die Zukunft werden und je weiter damit die Zinsen gegen Null fallen, desto höher rein rechnerisch die Vermögen, die sich aus der gleichen Zahlungsforderung ableiten lassen. Bei Zinserwartungen gegen Null streben die Vermögenswerte gegen unendlich. Diesem Verhältnis von Hoffnungslosigkeit und gleichzeitigem Reichtum entspricht die Dystopie, auf die wir zustreben.

Der Finanzfeudalismus unserer Zeit erwächst aus dem Gegensatz von riesigen Vermögen und absoluter Armut. Er teilt die Welt auf in Risikogebiete zerfallender Staaten und befriedete Zonen scheinbaren Wohlstands, regiert von Postdemokratien unter ökonomischem Zugzwang und datenbasierten Überwachungsprogrammen. Gegen dieses Regime der großen globalen Finanzinteressen kann uns keine Revolution helfen. Längst sind Staaten und Regierungen zu ausführenden Organen geworden. Die vermeintliche Freiheit der Netzwerke ist der Überwachungsmaschinerie von großen privaten Plattformen und schon kaum mehr staatlich zu nennenden Geheiminstitutionen gewichen. Aber etwas ereignen muss sich doch, denn die ökonomische Lage ist nicht haltbar, weder von der Ungleichverteilung der Reichtümer her, noch wegen der Risiken des nach der Krise nur größer und unstabiler gewordenen Finanzsystems.

Was als ökonomische und gesellschaftliche Utopie erreicht werden kann, liegt in den Routinen der Verwaltung bereits vor. Es muss nur gelingen, das technisch und administrativ Mögliche von den Zwängen der schlechten Regierung zu befreien.

Was können wir in dieser Lage fordern?

Wenn Utopien immer auch Verwaltungsphantasien sind, dann gibt es für jede der drei großen Verwaltungen die ihr angemessene ökonomische Utopie: für den Staat die Utopie der Arbeit für alle, mit Jobgarantie, für die Vermögen das helicopter money als Grundeinkommen und für die Netzwerke die Utopie einer Ökonomie ohne Geld.

Biberach an der Riss / La Specchia, September 2015