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Gegner im geschlossenen Raum

08.01.08

F.A.Z. Ausstellungskritik Aernout Mik, Hannover

Aernout Mik: Scapegoat
“Please leave this place” fleht der Offizier die Kameraleute an. Er weiß, was kommt. Er trägt eine Waffe, er könnte sie davontreiben. Aber er bittet sie mit zittriger Stimme, sich um ihr Leben willen davon zu machen. Hinter ihm flüchtet ein Panzer von der Straße, wälzt sich wie ein großes Tier zwischen die Bäume. Dann sind die Jets da.
Aernout Mik, der Vorname wird “Ahrnaut” gesprochen, hat Bildmaterial aus den Jugoslawienkriegen gesichtet. Nie gesendet, stapelt es sich bei der Nachrichtenagentur Reuters in Kisten. 70 Minuten dauert Miks Projektion auf zwei große, von der Decke gehängte Leinwände. Die Folge kurzer Ausschnitte zeichnet ein Bild, das jahrelange Berichterstattung nie vermitteln konnte oder wollte. Man ahnt den Krieg als eine lange Zeit alltäglicher Verrohung und banalen Grauens, das urplötzlich in tödlich nahe Gewalt kippen kann. “Raw Footage” heißt die Arbeit. Wäre es nur Rohmaterial, hätte Reuters alles selbst zeigen können, ohne die Hilfe eines Künstlers. Mik hat das rohe Material ausgewählt und gruppiert. Er hat behutsam eine ikonographische Ordnung eingezogen, die mal mehr, mal weniger deutlich hervortritt. Traktoren vor Panzern. Umherirrende Tiere. Aufstellungen von Uniformierten. Leichen in Vorgärten. Zusammentreiben von Menschen. Schießen. Beschossen Werden.

Um “Raw Footage” im Zentrum gruppiert die Ausstellung im Kunstverein Hannover vier weitere Video-Installationen. Gewundene Gänge geleiten den Besucher in schummerigem Neonlicht von Raum zu Raum. Die Bilder entfalten ihre Wirkung ganz in Ruhe. Von Zeit zu Zeit hallen als einzige Geräusche die Schüsse oder Sirenen aus dem Jugoslawien-Krieg durch die Ausstellung.

Die eingangs geschilderte Szene ist ein Sonderfall. Denn in den inszenierten Videos vermeidet Mik erzählerische Abfolgen. Die Ereignisse laufen im Kreis, wiederholen sich, und finden unversehens zum Ausgangspunkt zurück. Anfang oder Ende gibt es nicht. Gegenüber der älteren Arbeit “Park” zeigen die 2005 und 2006 geschaffenen Videos einige Gemeinsamkeiten. Sie beschränken sich auf einen klar eingegrenzten und politisch aufgeladenen Ort, an dem zwei gegnerische Gruppen aufeinander treffen. Die Handlungen der einzelnen Akteure bestehen aus stereotypen und teils wohlbekannten Gesten, bis hin zu dem Abgeordneten, der mit dem Schuh auf den Tisch eindrischt.

“Training Ground” nimmt einen Ort auf, den Mik auch im diesjährigen Biennale Pavillon der Niederlande bearbeitet hat. Auf einem Trainingsgelände üben Polizisten und Statisten als Immigranten Verhaltensweisen ein. Etwas undramatisch vollzieht sich ein Rollenwechsel. Plötzlich stolzieren die Immigranten mit Holzgewehren umher. Polizisten liegen auf dem Boden und werden durchsucht. Oberflächlich lässt sich das Video als Einübung in die alltäglichen Grenzregime lesen.

In “Vacuum Room” betritt der Betrachter einen Raum, der ihn mit vier bewegten Bildern umgibt. Er kann zwischen zwei Positionen wählen. An der Wand stehen zwei Stühle. Dort begibt er sich an die Stelle eines Abgeordneten, vielleicht eines Parlament oder eines Tribunals. Im Zentrum, dort wo die Aufrührer auftreten, liegen Kissen. Auch hier ist die politische Referenz mehr als offensichtlich, selbstorganisierter Widerstand begegnet Gesten und Ritualen institutionell ausgeübter Herrschaft.

“Scapegoat” schließlich schildert eine lagerartige Situation in einer großen Sporthalle. Flüchtlinge werden von Soldaten hinaus und hinein getrieben, bewacht, gruppiert, misshandelt. Unbeteiligte Zivilisten stehen am Rand und sehen zu. Man kann nicht anders als darin eine Bebilderung des Begriffs “Lager” sehen, der mit Giorgio Agamben seinen Weg in die politische Theorie gefunden hat.

Etwas anders gestaltet sich die Lage in früheren der Arbeit “Park”. Gegner gibt es dort nicht. Sie zeigt eine Gruppe von Menschen um einen Baum vor dichten Gebüsch. Die meisten tanzen hüpfend auf und ab. Einige sitzen auf dem Boden, lesen Zeitung oder sind mit anderweitig beschäftigt. Die Kamera vollzieht die Bewegung der Tanzenden verzögert nach, bewegt sich auf und ab, nähert sich bald der Gruppe an, entfernt sich wieder, ohne je den Blick auf die Umgebung freizugeben.

Zwischen den älteren Arbeiten des Künstlers, die das Verhalten in Gruppen ins Absurde wenden, und den neueren, die sich politischen Ordnungen widmen, besteht ein merklicher Kontrast. Er könnte Mik den Vorwurf einbringen, sich allzu dienstbar dem in der Kunstwelt gängigen politischen Diskurs zuzuwenden. Zumal er mit Themen wie Lager, Grenzregime, Revolte und Immigration auch noch die üblichen Verdächtigen aufruft. Seine Werke entkräften diesen Vorwurf. Oft verfallen Künstler, die sich Trends von Theorien und Themen allzu sehr annähern, ins bloß Dokumentarische oder Illustrative. Beidem weicht Mik aus. Es gelingt ihm, Gesten und Rituale des Politischen in Werke zu verwandeln, die einen ganz eigenen und künstlerisch klar geformten Blick auf die Welt gewähren.

Aernout Mik Shifting Shifting
Kunstverein Hannover, noch bis 3. Februar 2008, di-sa 10-18, so 11-19

Abbildung: Aernout Mik: Scapegoat (2006) Screenshot