text

Die große Mäßigung

19.08.12

10 Jahre später schien sich alles zum Guten zu wenden. Nicht nur politisch mit dem Ende des kalten Kriegs, sondern auch ökonomisch. “Great Moderation”, die große Mäßigung, nannte Bernanke jene glückliche Phase, in der sich sämtliche wirtschaftlichen Koordinaten zum besten wandten – niedrige Inflationsrate, sinkende Zinsen, steigende Aktienkurse, hohe Anleihepreise, passables Wirtschaftswachstum, wunderschöne Profite, speziell im finanziellen Sektor. 15 Jahre ohne Krise, abgesehen von der Internet-Bubble, der letzten klassischen Investment-Phantasten-Blase. Sie blieb ein Problem der Kleinanleger ohne das eigentliche Geschäft zu berühren. Das System steckte sie mit einer zuvor nicht gekannten Widerstandsfähigkeit weg.
Was lief im Hintergrund?
Man hatte eine Ressource angezapft, ergiebiger als alle Erdöl-Bohrlöcher und größer als alle Kolonien und Quasi-Kolonien zusammen. Die Quelle des neuen Geldstroms lag in der Zukunft. Der großen Kredit-Maschine ging eine Reform der Schuldvergabe voraus. Die Banken hielten die Schulden nicht mehr in ihren Bücher, sondern verkauften sie an Dritte weiter. Alles, was als Sicherheit hinterlegt werden konnte, und dazu zählten eben nicht nur Staatsanleihen oder Häuser, sondern auch die versicherten Kredite selbst, wurde als Sicherheit hinterlegt, um neue Kredite aufzunehmen. So wuchs nicht nur langsam eine riesige Kreditpyramide, sondern es entstand immer mehr Nachfrage nach zusätzlich Krediten. Das wiederum führte dazu, dass die Preise für die als Sicherheiten dienenden Güter anstiegen. Ein wunderschöner, sich selbst befeuernder Prozess, der sein Einkommen aus der Geldschöpfung zog, und nach außen eine ungewohnte Sicherheit brachte. Während im Inneren stetig und unaufhaltsam eine Kreditpyramide wuchs.
Die Instabilität des Finanzgebildes wurde erst nicht erkannt. Denn auf Bedenken, die Schulden seien auf ungekannte Höhen gestiegen, lautete die Antwort, es seien auch die Sicherheiten, zum Beispiel in Form der immer höher bewerteten Häuser angestiegen.
Das Problem wurde in dem Moment offenbar, als sich die Sicherheiten als Unsicherheiten erwiesen. Sprich, als die Häuserpreise aufhörten zu steigen. Die Strategien, über Versicherungen Risiken an Dritte zu verteilen, trugen dazu bei, die Lage nicht unbedingt sicherer zu machen, aber mit Sicherheit undurchschaubarer.
Die Theorie, mit der sich der Kredit-Zyklus erklären ließ, fand wie üblich erst nach dem platzen der Blase die ihr gebührende Anerkennung. In der Mitte der 80er Jahre hatte Hyman Minsky von der inhärenten Instabilität des Systems formuliert, die beschreibt, wie die Vergabe von Krediten im Aufschwung zusehends riskanter wird. So dass schließlich Kredite selbst an jene vergeben werden, die aus ihren laufenden Einnahmen weder ihre Schulden noch auch nur die Zinsen bezahlen konnten. (Minsky1986) Solange die Häuserpreise weiter stiegen, funktionierte dieses Spiel tatsächlich.