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Knut-Perspektiven in der Vanity Fair

15.05.07

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Annie Leibovitz: Knut – Vanity Fair, USA 03/ 07

Eigentlich bietet sich der weiße kleine Eisbär gut wie kaum ein anderes Bildobjekt an, die Funktion eines alltäglichen Mythos zu erfüllen, das heißt: eine doppelte Codierung zu erzeugen, wie sie die Image-Werbe-Industrie so liebt. Annie Leibovitz hat sich gegen diese Versuchung erfolgreich zur Wehr gesetzt. Sie hat den Bären nicht als Symbol und nicht als Projektionsobjekt in Szene gesetzt – für die Klimakatastrophe, den Naturschutz, den Feinstaub, die Kinderarmut oder was weiß ich. Sondern sie hat ihn in ein anderes, für sie ganz un-typisches Foto-Genre eingeordnet: die Reportage. Dort zählt nicht der Bär, sondern seine Welt. Ein rammeliges Kopfkissen, ein Rechen, ein altes Handtuch, hölzerne Verschläge, ein bärtiger Mann. Wo sind wir? In einem Slum in Mexiko? Was hat der Mann vor? Sind wir Zeuge eines Verbrechens?

Geschickt entfernt sie den Bären aus einem visuellen Umfeld, das ihn zum Postkartenmotiv und Publikumsmagneten werden ließ. Keine Sonne. Keine Landschaft. Keine Freiheit. Ein tristes Zooleben hat seinen Anfang genommen. Und wenn sich der Kleine innerhalb der nächsten Monate zum kräftigen Raubtier auswächst, wird sie Recht gehabt haben.