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Krise und Austerität
24.08.12
Das neoliberale Projekt erschien so erfolgreich, dass Wirtschaftsnobelpreisträger Robert E. Lucas am 10.01.2003 verkündete, die Wirtschaftswissenschaften hätten ihre Aufgaben gelöst. Die Makroökonomie, die in den 30er Jahren als Reaktion auf die große Depressionen begründet worden war, habe nun über Jahrzehnte ein Wiederauftreten dieser Katastrophe verhindert und selbst den Konjunkturzyklus unter Kontrolle gebracht.
Wie wir inzwischen wissen, war der wirtschaftliche Erfolg der drei neoliberalen Jahrzehnte einem Kreditboom geschuldet. Finanzinstitutionen hatten Verfahren entwickelt, um Schulden Dritter in handelbare Wertpapiere zu verwandeln, und sie ließen keine Gelegenheit aus, dieses Geschäftsfeld aufzublähen. Besonders Häuser-Darlehen, aber auch Leasingverträge, Studentenkredite, Ratenkäufe und überhaupt alle Arten von “kaufe jetzt, bezahle später” ließen sich auf diese Art zu Geld machen. Um die dabei auflaufenden Vermögenspositionen zu finanzieren, gewährten sich Banken wechselseitig Kredite, welche wiederum als Wertpapiere endeten. Um 2005 entstanden so in den USA für jeden Dollar Bruttosozialprudukt-Wachstum 5 bis 7 Dollar Schulden.
Als das Pyramidenspiel schließlich kollabierte, kam es zu der sogenannten Rettung des Finanzsystems verkauft. Ohne das im übrigen einer der neoliberalen Wirtschaftswissenschaftler sich groß gegen die ansonsten verdammungswürdige staatliche Intervention wehrte. Da niemand mehr wusste, welchen Wert die nun so gut wie nicht mehr gehandelten Wertpapiere noch hatten, durften Banken ihre “toxic assets”, finanziellen Giftmüll, bei der zuständigen Zentralbank entsorgen und bekamen als Entschädigung gutes Geld. Wem das zum Überleben nicht reichte, der musste noch einmal auf Staatskosten gerettet werden. Eine neoliberale Marktwirtschaft hätte theoretisch die Banken Bankrott gehen lassen müssen. Aber Fall von Lehmann im Jahr 2008 hatte gezeigt, dass die Pleite eines Geldhauses schwer kalkulierbare Risiken barg. Da sich alle Beteiligten untereinander verschuldet hatten, ließen sich die durch hunderte Seiten langen Vertragsbedingungen verschleierten “Counterparty Risks” schlicht nicht mehr nachvollziehen. Das Netzwerk der Großbanken hatte sich en bloc in den Status der Systemrelevanz manövriert und somit unangreifbar gemacht. Die Alternative zur Rettung, also zu unbegrenzter finanzieller Unterstützung, hätte unkalkulierbares Chaos gelautet.
Durch die Bankenrettung stieg die öffentliche Verschuldung der Industriestaaten beträchtlich.
Die Krise wurde so von einer Häuser- zu einer Banken- und schließlich zur Staats-Krise. Auf diesem Weg landete die Rechnung für die Kreditpyramide der Banken bei der Allgemeinheit, und das ohne am Verhalten der Banken viel zu verändern. Neoliberale Ökonomen und Entscheidungsträger setzten daraufhin harte Sparmaßnahmen durch, um die Staatsfinanzen wieder unter Kontrolle zu bringen.
Tatsächlich haben die Sparmaßnahmen generell das Wirtschaftswachstum geschwächt, die Investitionen verringert und die Arbeitslosigkeit erhöht. Nicht einmal das vorrangigste Ziel wurde erreicht. Denn letztlich steigen auch die Ausgaben des Staates und damit die Schulden.(DeLong 2012 / Palley 2009)
Mittlerweile steht zur Diskussion, ob die Verschärfung der Lage nicht sogar bewusst in Kauf genommen wurde. Sollte es das Ziel gewesen sein, in Europa eine Zwangslage herbei zu führen, um einzelne Staaten zur Aufgabe ihrer Souveränität zu nötigen, so war die Politik erfolgreich. Die sogenannte Euro-Krise geholfen, eine “Einigung” zu erzwingen, die auf demokratischem Weg nicht erreicht wurde. Allerdings deutet viel darauf hin, dass dieser Prozess nicht etwa kontrolliert durchgeführt wurde, sondern von Anfang improvisiert und in Unkenntnis der damit verbundenen ökonomischen wie auch sozialen Risiken.
Ein große Frage bleibt unbeantwortet, vorerst jedenfalls. Wenn die Maßnahmen der Austerität das Problem nicht lösen, sondern verschärfen; und wenn es genügend Hinweise dafür gibt, dass klug verteilte staatliche Hilfen, die den Konsum fördern oder zumindest aufrecht erhalten, für alle Beteiligten von Vorteil wären – für den Staat selbst in Form höherer Steuereinnahmen und auch für die Unternehmen durch das Belebung des Geschäfts und selbst für die Profite – dann stellt sich dringend die Frage, warum sich Entscheider derart vehement gegen diese Massnahmen wehren. diese Frage stellt sich im übrigen nicht zum ersten Mal. In Deutschland stand man Anfang der 30er Jahre vor ähnlichen Entscheidungen und sparte sich in eine die Krise verlängernde Deflation, an deren Ende schließlich die Nazis an die Herrschaft kamen. In einem berühmtem Aufsatz von 1941 versuchte der polnische Ökonom Michal Kalecki vergeblich, darauf eine Antwort zu geben. Er zog den Schluss, dass die prinzipielle und ökonomisch in jeder Hinsicht irrationale Weigerung, die notleidenden Bevölkerungsteile zu unterstützen, sich nur als Teil eines Klassenkampf verstehen lässt, und zwar von Oben gegen Unten.