book
Mehr Geld
27.05.09
neu erschienen Oktober 2008
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Rezension von Eberhard Rathgeb in der FAZ vom 30.08.2008
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Geld gibt ein Kommando. Seine Order lautet „Mehr!“
Denn Geld zählt. Zählen aber hat eine Richtung. Wir
zählen nicht 0-1-0-1, sondern 1-2-3-4…. Das Zählen
verlangt ganz von selbst nach Mehr.
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Geld ist eine Zahl mit Besitzer. Deshalb ist der
Besitzer von Geld der erste, dem das Kommando
“Mehr!” gilt. Aber keine Sorge, es erreicht auch alle
anderen. Wenn auch nicht in der gleichen Position,
sondern mit beschränkten Rechten und Freiheiten.
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Geld entsteht als Schuld. Aber nicht jeder Kredit ist
Geld. Wenn A an B ein Geld verleiht, entsteht kein
neues Geld. Wenn aber eine Bank ein Geld verleiht,
das sie nicht hat. Dann ist neues Geld entstanden.
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Banken “schöpfen” Geld, indem sie einem Besitzer
eine Zahl zuordnen. Sie gewähren ihm Kredit, sagt
man. Weil sie darauf vertrauen, dass er ihnen mehr
Geld zurückzahlt? Ja. Weil sie wollen, dass er ihnen
das Geld zurückzahlt? Nein. Lieber soll er mehr
Schulden machen.
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Am Anfang ist Geld nichts als Zahlen in einer
Tabelle. Die Zentralbank schöpft Geld, indem sie einer
anderen Bank eine Zahl ins Buch schreibt. Von der reicht
eine Wasserkette, von Schulden über
Schulden und Kredite auf Kredite bis hinunter zum
Konsumenten. Und das ist etwas Neues. Denn bis vor
30 Jahren hätte der Konsument nie der letzte in der
Kette sein dürfen, der Schuldner der letzten Instanz.
Dieser Platz war bis dahin Investoren vorbehalten
gewesen.
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Wird Geld geschöpft, entstehen Schulden. Wird Geld
ausgegeben, entstehen Einnahmen. Werden neue
Schulden aufgenommen, entsteht Wachstum.
Dieser Prozess treibt sich selbst voran. Mehr
Schulden = mehr Geld = mehr Umsatz = mehr Gewinn.
Das führt zu einem Problem. Denn die Wirtschaft
wächst nicht weiter, wenn der Kredit sich nicht erhöht.
Gab es je ein Geld, das nicht “Mehr!” verlangt hat?
Die Unterscheidung zwischen den beiden Sorten von
Geld trifft Aristoteles. Und bezieht sich damit auf die
Wirtschaft in Athen, wo Geld in dem uns vertrauten Sinn
als verstaatlichte Münze erstmals geprägt wurde. Er
unterscheidet die beiden Erwerbskünste Ökonomik und
Chrematistik. Ökonomik, also Wirtschaft in einem Haus
– oikos – oder anders gesagt Betriebswirtschaft, sorgt
dafür, dass Güter beschafft und hergestellt werden. “Es
gibt indessen noch eine andere Erwerbskunst, die man
vorzugsweise und mit Recht als die Kunst des
Gelderwerbs bezeichnet; im Hinblick auf sie scheint
keine Grenze des Reichtums und des Erwerbs zu
bestehen.” Hätte die Chrematistik als Geldwirtschaft
nur eine Grenze, so wäre sie zuträglich. Es ist das
Grenzenlose des Mehr, das Aristoteles fürchtet.
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“Money is, what Money does.” Bezahlen, Bewerten,
Speichern. Deshalb bleiben die Funktionen des Geldes
dieselben, als welche Substanz und in welchem
Medium es auch immer zirkuliert, denn sie sind das
Geld. Was sich verändert, ist Geschwindigkeit und
Volumen. Quantitative Unterschiede schlagen in neue
Systeme der Zirkulation im Ganzen um. So dass sich
die Lage, die wir zu untersuchen haben, eben nicht
durch neue Funktionen des Geldes auszeichnet,
sondern durch die von Medien hervorgebrachten
Ausdehnungen der gleich gebliebenen Funktionen.
“Deshalb, das sei nebenbei gesagt, ist der Zeitgewinn,
den die Kommunikationstechnologie dem Markt, der
Aktivität der Börsennotierungen, den Bewegungen der
chrematistischen Spekulation sichert, kein sekundärer
oder zufälliger Vorzug; es ist, könnte man sagen, die
Entfaltung der Essenz des Geldes selbst als Zeit (Geld
ist Zeit), als Beschleunigung der sozialen Zeit, als
Quantifizierung und Ökonomie der Zeit.” Die meisten
so genannten Finanzinnovationen gehen nicht nur
zufälligerweise mit den Medienwechseln des Geldes
einher, sondern sind anders nicht denkbar.
Einst wurden einzelne Datenstücke von Bank zu
Bank, von Börse zu Börse übermittelt. Heute haben wir
ein großes vernetztes Gebilde, das uns aus den
Bildschirmen heraus anblickt. Um diese Gebilde hat
sich ein soziales Netz zeitgleich handelnder Akteure
gebildet.
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Die digital angetriebene Zirkulation ist keinesfalls von
tatsächlichen handelnden Marktteilnehmern
unabhängig. Sie erzeugen neue soziale Strukturen, die
sich über Zeitzonen und entlang von Geldströmen
erstrecken.5 Bildschirme geben den Blick auf diese sich
in einem strengen Fluss befindliche Welt frei, in der
Geld und Preise aus der Zukunft der gebündelten
Erwartungen zurückkommen.
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Stellt also die Digitalisierung des Geldes den
entscheidenden Bruch dar?