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10.7. Muster- und Geschichtserkennung, nach Wölfflin

13.07.15

Vortrag bei der Tagung “Form und Ordnung. Zur Systematik des vergleichenden Sehens”, HU Berlin.

Wölfflins kunstgeschichtliche Grundbegriffe geben eine Antwort auf eine Frage der Technik, genauer der Photographie. Die Grundlage seines Verfahrens bildet die Doppelprojektion als Vorführung binärer Oppositionen. Eine Reihe von bildhaften Gegensätzen wird auf den Unterschied zweier Epochen bezogen. Die Anordnung führt nicht eigentlich zu neuen Erkenntnissen, sondern bestätigt nur mit neuen technischen Mitteln, was ohnehin bekannt war.
Mediale Übergänge laufen üblicherweise in zwei Phasen ab. Zuerst begnüngt man sich damit, ein neues Medium nur zu gebrauchen. Dabei bleiben die gewohnten Praktiken und Institutionen möglichst genau so bestehen, wie sie sind. Erst in einer zweiten Phase entwickeln Medien ihre Eigendynamik, was zu neuen Praktiken und auch neuen Institutionen führen kann. “Disruption” lautet des gängige Stichwort dazu aus der Designtheorie.
Innerhlab dieser Phasenfolge findet sich ein Gegenüber zu Wölfflin im Ansatz Aby Warburgs. Während Wölfflin einem fotografischen Archiv ausliest, was wir schon wissen, entdeckt Warburg in den Bildermengen unbekannte, oder zumindest vergessene Zusammenhänge – in der verborgenen ikonographischen Ordnung, als auch in dem abgeleiteten Versuch, sie zu universalisieren.
Die Gegensatzpaare von Wölfflins Grundbegriffen ließen sich leicht operationalisieren. Einfache algorithmische Verfahren der Kanten-Detektion liefern beispielweise die Entsprechung zu Wölfflins Gegensatz von Linear und Malerisch. Tatsächlich hätte man mit dieser Ansatz seinerzeit (1999) einen netten Vorläufer der Digital Humanities in der Kunstgeschichte fomuliert gehabt.
Aus etwas Distanz betrachtet, wäre ein solcher Forschungsansatz allerdings nichts anderes als ein weiterer Fall von Forschung in Phase 1. Was zu wissen ist, kennen wir schon. Es geht nur noch um die tautologische Operation, Bekanntes mit Hilfe einer neuen Technologie zu bestätigen, und diesem Fall sogar doppelt Bekanntes. Der Algorithmus würde ergeben, dass das, wasWölfflin mit Hife der Fotografie noch einmal entdeckte, sich auch ein zweites Mal im Computer nachweisen lässt.
Interessant wird der Ansatz aber erst dann, wenn wir von hier aus zur Phase 2 vorangehen. Dann lautet die Aufgabe nicht: was können wir verfizieren? Sondern: waskönnen wir in den Bildern und Daten neu entdecken?