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Phantasien der Beteiligung
01.06.01
Katalogtext II.Triennale zeitgen. Kunst Oberschwaben
Im Wald vor der Stadt lägen die Waffen vergraben, hieß es. Wenn es tatsächlich so war, dann liegen sie dort seit drei Jahrzehnten, denn gebraucht hat sie niemand. Nach den olympischen Spielen in München baute man durch den Wald eine Trimmdichstrecke, die Turngeräte waren mit Piktogrammen im Stil Otl Aichers beschildert. Das Wort “Trimmdich†wurde bald altmodisch, später sprach man je nach Mode von Aerobic oder Jogging. Vielleicht liegen im Boden noch immer die Gewehre und erzittern unter den Schritten der Feierabendsportler.
Den Spätgeborenen sind aus der Zeit der nicht geschehenen Revolution von 1968 eine Reihe von Gerüchten und Geschichten erzählt worden. Mitten im bundesweiten Aufruhr erschien ein hektographiertes Blatt, dessen Titel den Kirchturm mit seinem helmartigen Dach als Phallus zeigte. Es kam zu einem Prozess, in dem ein späterer Wirtschaftsminister den Freispruch für die Beschuldigten erstritt, unter ihnen jener, von dem es hieß, er habe im Wald die Waffen vergraben. Für ein paar Jahre scheint die Stadt an den Ereignissen im Rest der Welt beteiligt gewesen zu sein. Sie hatte Teil an den Hoffnungen, auch dem Hass, den Wünschen und den Verwünschungen der Zeit.
Ob die Waffen wirklich vergraben sind, ob je ein lächerlicher Held mit Gewehr in der Hand wie die Münchner Sowjets Ernst Tollers auf dem Markplatz aufgetaucht wäre, spielt keine Rolle. Den Phantasien der Beteiligung bedeuten die Tatsachen wenig. Das Gerücht erzählt ein Märchen aus einer Zeit, als man glaubte, die großen Ereignisse spielten sich in unserem Beisein ab und nicht jenseits der medialen Schnittstellen. Das Wort “Schnittstelle†beschreibt ein vermitteltes Verhältnis zur Welt. Die Fernseher und die Bildschirme bringen nicht nur jedes beliebige Geschehen rund um den Globus ins heimische Wohnzimmer, sondern schneiden die Betrachter zugleich davon ab. Sie zeigen einen kleinen Teil der Welt, um den weitaus größeren Rest zu verschweigen. Und was sie zeigen, sind Erzeugnisse. Konsumentenfreundlich zurechtgeschnittene Videoschnipsel und Bilder, die das, was sie zeigen, entfernen. Die Ereignisse erscheinen so entrückt, daß selbst die vor Ort Anwesenden das Erlebte noch nachträglich durch Kamerabilder bestätigt sehen wollen, als ob sie ihren Sinnen nicht trauen könnten.
In der Verkehrung von Nähe und Ferne wird die Kategorie des Raumes neu bestimmt. Was mit dem Transportmittel der Eisenbahn beginnt, setzt sich in den analogen Medien und den digitalen Netzwerken der Gegenwart fort. Die Zentren der Attraktionen verteilen sich, sie sind weniger denn je lokal festgelegt. Die Ereignisse werden gestreut und ein jedes wird von einem Tross von Eventmanagern und Medienleuten begleitet. Die Treffen der Wirtschaftsbosse, die sie begleitenden “Krawalltouristen†und die Forderungen nach allzeit bereiten flexiblen Arbeitern sind ebenso Anzeichen der allgemeinen Mobilmachung wie die in ununterbrochene Flugaffären verstrickten Manager und Minister. Selbst der Jetset einer Hundertschaft von Künstlern, deren Arbeiten zeitgleich rund um den Globus zu sehen sind und alle großen Sammlungen bestücken, zählt dazu. Wer Beweglichkeit und Vernetzung nur als Anzeichen des kommenden globalen Dorfes und der Globalisierung versteht, verkennt die Situation. Während die geographische Lage bei der Verteilung von Information eine immer geringere Rolle spielt, treten an deren Stelle andere Kategorien. Es zählt nicht mehr der Platz auf der Landkarte, sondern die Adresse und die Intensität, mit der ein Ort an die Ströme der Information angeschlossen ist. Was provinziell, was aktuell, was rückständig und was angesagt ist, wird dabei neu bewertet. Orte fernab der Flughäfen und ICE-Trassen müssen keineswegs provinziell sein. Umgekehrt bilden sich plötzlich inmitten der Metropolen abgeschottete Szenen heraus, die ihre ganz eigene Provinzialität kultivieren. Provinz oder Zentrum ist nicht länger eine Frage der Geographie, sondern eine der Informiertheit und der Beteiligung.
Seit niemand mehr glaubt, an den Ereignissen teilzunehmen, hat sich nicht nur die Funktion der Politik, sondern auch die der Kultur verändert. Die Distinktionsangebote der Popkultur sind wieder von der Kulturindustrie vereinnahmt worden. Die Avantgarden der Künste haben sich nicht mit denen das Pop versöhnt, sondern sind als Staatskultur repräsentativ, als Subkultur kommerziell geworden. Auf kleine Städte schlägt die Entwicklung anders durch als auf große. Während sich dort in der Vielfalt der verschiedenen Viertel jede Bewegung verwirbelt und in Extremen und Nischen gegen sich wendet, droht hier der kulturelle Stillstand. Zu Beginn der 70er Jahre wurde in Biberach noch ein Kino von Wim Wenders eingeweiht und Autoren der Wiener Gruppe wie Oswald Wiener und Gerhard Rühm kamen zu Lesungen. Schon zehn Jahre später waren solche Ereignisse eine Seltenheit. Die kulturelle Welt berührte das Leben eines Ortes immer weniger, der auf dem Weg war, sich in seine Provinz zurückzuziehen. Die Losung der kulturellen Isolation lautete “freundliche Einkaufsstadtâ€, ausgegeben von den Mittelständlern und Händlern. Was aus größeren Städten unter der Bezeichnung “Gentrifizierung†bekannt ist, wiederholte sich im kleinen Rahmen. Wenn allerdings in London, New York oder auch jüngst im Zentrum Berlins einzelne Quartiere von Investoren aufgekauft und modernisiert werden, und dann aus dem zur Rendite verurteilten Boden Shops, Bars und Boutiquen quillen, bleibt im Rest der großen Stadt noch genügend Platz für jene, die sich dieser Entwicklung nicht anpassen wollen oder können. In einer kleinen Stadt droht die Erneuerung dagegen restlos zu gelingen.
Die Sanierung der Altstadt verwandelt den Stadtkern in eine nach zweifelhaften ästhetischen Maßstäben geschmückte Schaubude. Noch die graue Stadtpfarrkirche wird hell eingefärbt, wobei man nicht vergisst, die an den Kanten eingelassenen Natursteine erst zu überpinseln und danach als regelmäßiges Muster im Stil Disneylands wieder aufzumalen. Um die Verwandlung in eine Schmuckschatulle nachträglich zu rechtfertigen, muss jedes einzelne Haus nun das Kapital einspielen, das seinem gesteigerten Wert entspricht. Wer nichts für den Umsatz leistet, hat seinen Platz im Herzen der Stadt verloren. Das gilt für große wie für kleine Städte. Schon formiert sich in der Mitte Berlins eine Initiative besorgter Trendsetter, die um das kulturelle Kapital des Zentrums bangen und künstliche Nischen für den Erhalt des gefährdeten Kulturträgers “Nachtclub†fordern. In der kleinen Stadt wird die Kultur dagegen schon vorauseilend dem neuen Geist angepasst.
Einige Jahre vor dem Beginn der Stadtsanierung, im Jahr 1974, begaben sich die Gemeinderäte auf Klausur, um Thesen zum Verhältnis von Kultur und Wirtschaft zu verabschieden. In einem schlichten Satz, der Wielands Abderiten alle Ehre gemacht hätte, schrieben sie fest: “Förderung der Kultur ist Wirtschaftsförderung.†Das entsprach durchaus der Stimmung einer Zeit, die Kultur nur noch als indirekte Standortwerbung begreifen wollte. Als ergänzende Umsatzförderung haben die Künste dann zwar noch einen Zweck, aber die Inhalte bleiben sich gleich.
Die Künstler sind sich ihrer Funktion dabei selten bewußt. Die meisten pflegen weiter die Mythen der Moderne und stilisieren ihre eigene Rolle als kulturelle Avantgarde. Daß die subventionierten Staatskünste auf breiter Front zu Spekulationsobjekten einer auf Repräsentation bedachten Verwaltung heruntergekommen sind, wollen die wenigsten wahrhaben, genießen sie doch die ebenso große wie sinnlose Freiheit, zu tun und zu lassen, was immer ihr Genie ihnen eingibt.
Im Zug der gleichen Entwicklung, die Popkultur auf ein Angebot konsumierbarer Distinktionen verkürzt wurde, geriet die staatlich subventionierte Hochkultur zum Schlachtfeld der Standortwettbewerbe. Das betrifft noch in jüngster Zeit die “Leuchttürmeâ€, die die Kultur der neuen Hauptstadt Berlin schmücken sollten, oder die Mitte der 90er Jahre als nationale Marketingsensation verheizten “Young British Artists†in London.
Doch zwischen einer Konkurrenz von Metropolen und Möchtegern-Metropolen und der von kleinen und sich groß nennenden Kreisstädten besteht ein wichtiger Unterschied. Wer Kultur als indirekte Wirtschaftsförderung begreift, pflegt sie in dem Horizont, der der Konkurrenz des Standorts entspricht. Im regionalen Wettbewerb werden die Künste ganz folgerichtig auf das bescheidene Maß von überbewerteter Heimatpflege zurechtgestutzt. Welche Debatten, Themen und Strömungen das Leben jenseits des Horizontes eines halben Regierungsbezirks bestimmen, ist unerheblich, wenn die Konkurrenz um die freundlichste aller Einkaufsstädte auszufechten ist. Allen neuen Möglichkeiten und Medien zum Trotz gelingt es doch, die Provinzialität in die Provinz zurückzuholen. Die kulturelle Verbrüderung mit den Partnerstädten bestätigt dann nur noch das erreichte Niveau. Jugendmusik- oder Jugendkunstschulen finden sich mit einem Begriff von Kultur konfrontiert, der von ihnen nichts anderes verlangt als Institute für höhere Töchter. Für eine Kultur im Geist des Standortmarketing genügt das vollauf.
In einer zweiten Stufe der schleichenden Kulturreform wird das, was auf den Status städtischer Dekoration heruntergekommen ist, schließlich denselben Kategorien von Effizienz unterworfen, denen sich die sanierte Stadt längst überlassen hat. Vor einigen Jahren wurde das Programm zeitgenössischer Musik weitgehend eingestellt. Allein die Kosten einer Aufführung hätten es erlaubt, an jeden einzelnen der wenigen Zuhörer die CD zu verschenken. Die Bibliothek wird unter den Kriterien Aktualitätsgrad und Ausleihquote von Information und Bildung auf Wirtschaftlichkeit umgestellt. Dieselben Quoten, die in Radio- und Fernsehprogrammen für den alltäglichen Terror der schweigenden Mehrheit sorgen, verlangen Ratgeber und Kochbücher an Stelle selten nachgefragter Fachzeitschriften. Tatsächlich zieht die zweite Stufe der Kulturreform nur die Konsequenz der ersten, so wie die erste selbst nur Konsequenzen gezogen hat. Nachdem die staatlich gestützten Hochkulturen sich am Ende der Moderne in leeren Zirkeln der Selbstreferenz verfangen haben und sich gerade noch zur Repräsentation eignen, entzieht man ihnen den Boden, den sie ohnehin aufgegeben haben.
Der Prozess ist weder abgeschlossen noch unumkehrbar. Nach wie vor gibt es in der Region das, was Standortverwalter als “Aushängeschilder†bezeichnen würden, aber oft gerade nicht im Rahmen der staatlich oder kommunal geförderten Kultur. Kürzlich berichtete ein Berliner DJ, er habe in einem großartigen Club in einer Stadt bei München aufgelegt. Es handelte sich um das “Douala†in Ravensburg, eine Diskothek, deren internationales Booking sie in eine Reihe mit Clubs in Berlin oder London stellt. Vor einem guten Jahrzehnt gab es in Biberach noch das “Komaâ€, ebenfalls über die Grenzen Deutschlands bekannt. Nach zähem Ringen mit Nachbarn und Ordnungsamt mußte es schließen.
Trotz all dem stehen die Chancen für eine Kultur jenseits von Standortmarketing und Heimatpflege nicht schlecht. Weder will es gelingen, Kultur ganz in die Funktion der Repräsentation zu sperren, noch geht das Konzept der restlosen Ökonomisierung auf. Die Bruchlinien zeigen sich an vielen Stellen. Um nur einige kurz zu nennen: als digitale Kopien verteilt man Musik jenseits der Zwänge von Industrie und Plattenläden; über das Netz werden abgelegene Informationen frei verfügbar und es bilden sich Interessengruppen; das Überangebot von Büro- und Ladenflächen bringt wieder ökonomisch wertlose Brachen und Freiräume hervor. Der Kunst könnte in einer Bewegung der Re-Kulturalisierung eine entscheidende Rolle zukommen. Von der Bindung an klassische Formate hat sie sich befreit. Die in der Moderne überbewerteten Distinktionen von Stilen und Medien treten zurück. Kunst ist beweglich genug geworden, um die Diskussionen, die Themen und Ereignisse der Zeit aufzugreifen und abzubilden. Als Agenten und Aktivisten entdecken Künstler kulturelle Möglichkeiten und spielen sie innerhalb ihrer Öffentlichkeit durch. Jeder voreilige Zwang, zu repräsentieren, Erfolge vorzuweisen, Leistungen zu erbringen oder sich nutzbar zu machen, wäre dabei hinderlich. Kunst lebt von den Phantasien der Beteiligung.