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Retro-Mediale
03.02.07
taz : Ein Netzwerk zum Abschalten
Zum zwanzigsten Mal findet das Festival statt, das einmal als VideoFilmFest gegründet wurde und heute Transmediale heißt. Sein Jubiläum begeht es mit drei Protagonisten, deren erste Erfolge in die eigene Gründungszeit zurückreichen. Vorgestern sprach Stelarc, gestern Arthur Kroker, heute Friedrich Kittler. Nichts gegen die drei Vortragenden. Jeder von ihnen hat die Welt um Wissen und Taten bereichert.
Die Einladung an drei verdiente Männer der Mediengeschichte, die Hauptreden zu halten, wirft ein Licht auf die Orientierungslosigkeit des Programms. Jahr um Jahr wird eine neue hohle Marketingfloskel als Thema ausgegeben. 2007 ruft es uns aus der Akademie „Unfinish!“ entgegen. Und? Im letzten Jahr hieß es „reality addicts“, davor Basics, FlyUtopia, PlayGlobal, GoPublic, Do it yourself. Ein Sammelsurium von Plattheiten, austauschbar wie Neujahrsansprachen von Bundeskanzlern, samt und sonders Kandidaten für eine Neuausgabe von Flauberts „Wörterbuch der Allgemeinplätze“. 2005 wurde das Festival zum kulturellen Leuchtturm ausgerufen und erfreut sich seither einer substanziellen Förderung der Bundeskulturstiftung. Große kulturelle Energieschübe gehen davon freilich nicht aus. Wirklich gut gelungen scheint einzig und allein die feste Verankerung im kulturbürokratischen Subventionsbetrieb der Republik. Nicht dass nicht hin und wieder ein großartiger Vortrag zu hören oder ein gelungenes Kunstwerk zu sehen wäre, aber im Großen und Ganzen schleppt sich die Veranstaltung uninspiriert von Jahr zu Jahr.
Den Grund der Probleme vor Ort zu suchen, greift zu kurz. Denn das Festival ist in zwei Fallen getappt, für die weder Organisatoren, noch Künstler, noch Vortragende eine Schuld trifft. Die ein Falle betrifft die Medienkunst, die andere die Medientheorie.
Die Falle der Medienkunst liegt darin, kulturelle Produktivität in unproduktive Bahnen zu lenken. Die Falle der Medientheorie besteht darin, zu Gegenwart und Zukunft der Medien nichts oder noch das Falsche zu sagen.
Zuerst zum Fall der Theorie. Simulation, Virtualität, Hyperrealität lauteten die Leitbegriffe der Neunziger Jahre, als französische Philosophie sich glücklich mit dem neuen Begriff Medium vereinigte. Fixiert auf Rechenleistungen, Maschinenästhetik und die Überbietung der Sinne, nahm kaum jemand wahr, was sich als kulturell folgenreichste Entwicklung des Jahrzehnts erweisen sollte. Das Wordwide Web wuchs im blinden Fleck der Medientheorie. An Wissen haben die Medienwissenschaften seither wohl einiges ausgegraben, aber wenig, was sich in Handeln übersetzen ließe. Das mag für Universitätskarrieren ausreichen, aber im Rest der Welt hilft es nicht weit. Eine zukunftsstiftende Zusammenarbeit zwischen den Wissenschaften der Kultur und der Computer ist ausgeblieben. Diesen Umstand illustriert die Tatsache, dass die erfolgreichen Unternehmen im Netz kaum aus Deutschland oder Europa stammen. Einzig die Kommunikation zwischen Betriebswirtschaft und Informatik ist so gut gelungen, dass daraus eine SAP werden konnte. Auch wenn der Erfolg am Kapitalmarkt nur von eingeschränkter Aussagekraft ist, so kann man doch zur Lage eines festhalten: wer an der Zukunft der Kultur in Netzen und Datenströmen mitarbeiten will, hat von heimischer Medientheorie derzeit nicht viel zu hoffen und wandert tunlichst aus, nach Amerika, China, Indien oder Nigeria (Die Empfehlung für das letzte Ziel verdanke ich Geert Lovink.)
Nun zur Falle der Medienkunst. Sie liegt im Begriff und im Betrieb der Kunst. Wer Kunst macht, liefert sich einem seltsamen Gratifikationsmodell aus. Wohl gelitten sind Werke, die irritieren, verstören, sich dem gewöhnlichen Blick verweigern, Technologien und Formate reflektieren und brechen. Dabei sind viele schöne, obskure und großartige Arbeiten entstanden. Nur leider kaum etwas, das auf die Entwicklung der medialen Kultur im Großen und Ganzen einen sonderlichen Einfluss gehabt hätte. Anstatt die Arbeit am Medium zu etwas zu nutzen, an dem sich viele Leute beteiligen und das vielen Beteiligten nutzt, richtet sich Kunst, zumal wenn sie wie Medien- und Netzkunst keinen Markt findet, am Ende an andere Adressaten: an staatliche Institutionen und Behörden oder an Stiftungen, die den Betrieb subventionieren. So verliert sich der größte Teil der Kreativität in einer kulturellen Sackgasse.
Die Entwicklungen der digitalen Kultur greifen Medienkunst oder Medientheorie im Normalfall verspätet auf. Kaum je gelingt es, einen Schritt vorauszuahnen, geschweige denn mitzugestalten. Das kalifornische Modell einer Kooperation von Computerkultur, Universitäten und Investoren hat sich demgegenüber als ungleich kreativer und kulturell wirkungsvoller herausgestellt.
Den Machern der Transmediale scheint die konzeptuelle Schwäche nicht ganz verborgen geblieben zu sein. Für dieses Jahr wurde der Name der Veranstaltung wieder einmal leicht abgewandelt. Es heißt nun nicht mehr „international media art festival“ sondern „festival for art and digital culture“. Ach, wenn kosmetischen Eingriffen dieser Art nur Taten folgen würden. Ein halbes Jahrzehnt nachdem Weblogs zum Mainstream geworden sind, stellt ein Panel fest, dass die Blogosphäre nun auch die Kunst erreicht habe. Dem Hype der Online-Community Secondlife konnte in den letzten Monaten niemand entkommen. Nun konstatiert ein Panel, dass Künstler „auch hier die Welt gegen den Strich bürsten wollen.“ Ja danke, darauf haben wir gewartet..
Warum lädt man nicht jemanden ein, der populäre digitale Kultur miterfindet? Und seien es die in Berlin lebenden Gründer von StudiVZ, einer erfolgreichen Imitation des amerikanischen Facebook. Oder Felix Petersen von Plazes, ebenfalls in Berlin.Warum gibt die Website der Transmediale nicht den Hauch eines Hinweises drauf, was im Netz auf Youtube, Flickr, bei Digg oder bei Technorati über das Festival berichtet wird? Warum riskiert man nicht einen Blick nach vorne?
Der Wechsel der Leitung könnte eine gute Gelegenheit sein, das Festival mit einer programmatischen Neuausrichtung wieder zu beleben. So unterschiedliche Konferenzen wie das jährliche Treffen des Chaos Computer Clubs, die Serie der Barcamp-Unconferences, der Digital Lifestyle Day in München oder Reboot in Kopenhagen zeigen, was sich zur Gegenwart und Zukunft der digitalen Kultur sagen lässt. So stellte sich etwa beim Digital Lifestyle Day vor zwei Wochen eine überraschende gemeinsame Ansicht heraus. Die Mehrzahl der Beteiligten geht davon aus, dass das Netz zerfallen wird, in Module, gerätespezifische Oberflächen und situationsbezogene Anwendungen. Hoffentlich dauert es nicht wieder Jahre, bis dieser Aspekt der digitalen Kultur im Rückspiegel von Medienkunst- und theorie die Transmediale erreicht.