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Voten und beten
08.11.06
Mit Dreadlocks und Sneakers würde der Parkplatzwächter besser vor einen Nachtclub passen, aber an diesem Sonntagmorgen begrüßt er Gäste zum Gottesdienst. Die Gemeinde liegt im ländlichen Maryland zwischen Baltimore und Washington. Die wenigen weißen Besucher wirken ärmlich im Gegensatz zu den schwarzen Gläubigen, die bei weitem die Mehrheit ausmachen und sich für den Kirchgang mit Anzügen, Pelzmänteln und Schmuck herausgeputzt haben.
Gegen den nationalen Trend steigt im Bundesstaat Maryland die Möglichkeit, dass das Team der republikanischen Kandidaten Ehrlich und Steele den Demokraten Sitze abjagt. Fünf Minuten von der Kirche entfernt haben sich die Republikaner in einem Verwaltungsbau ihr Wahlkampfbüro eingerichtet. Der Leiter gibt bereitwillig Auskunft über Strategie und Methode: Das sogenannte Microtargetting hat ganz wesentlich zu den Erfolgen der Republikaner während des letzten Jahrzehnts beigetragen. Lokale Themen stehen im Vordergrund, Aktivitäten sind strikt zielorientiert: keine Diskussionen über den Irakkrieg, sondern über Schulen und Kriminalität. An diesem Sonntag sollen 20 Helfer kommen, um stundenlang Wählerlisten durchzutelefonieren, eigene Anhänger zu finden und zur Wahl zu ermuntern.
Auch wenn konservative Kirchen und Parteien sich für dasselbe politische Ziel einsetzen, sie arbeiten nicht direkt Hand in Hand. Denn in den Kirchen darf kein Wahlkampf gemacht werden. Mit jeder direkten Erwähnung einer Partei oder eines Kandidaten würde der Prediger die Steuerbefreiung als religiöse Gemeinschaft riskieren. So wählt er einen Umweg: Mit einer Allegorie beschreibt er das Verhältnis seiner Gemeinde zum politischen Leben. Stellt euch vor, ihr hättet euch abends zum Ausgehen schön gemacht und wärt gerade dabei, ein Kette um den Hals zu legen. Und wie ihr euch vor den Spiegel beugt, löst sich plötzlich der Verschluss, und die Kette fällt ins Klo. “Genau das ist mir passiert!”, ruft eine Frau aus der Mitte des Saals. Gelächter überall. Wie teuer ist eine Halskette? 400 Dollar, ruft jemand. Eher ein bisschen mehr, entgegnet der Prediger. Was tun? Ihr nehmt euch zusammen und fasst mit der Hand tief ins Klo, um euren Schatz zu retten. Genau das ist es, was ich von euch am Dienstag erwarte.
taz vom 7.11.2006, S. 17