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Zeit, Name, Medium
01.06.05
Swiss Pavillon, 51st Venice Biennale
Welthaltigkeit
Welthaltigkeit
Der Wandel, der die Technologien und die Ökonomien der Kultur unserer Zeit erfasst, wird an der Welt der Kunst nicht spurlos vorübergehen. Ob es zu einer Kollision kommt, wie am Beginn der Moderne, oder ob die neue kulturelle Architektur nur ihren Schatten in die Welt der Kunst wirft, hängt von der Position ab, die die Kunst in dem sich verändernden kulturellen Gefüge findet. Die Vorboten eines umfassenden kulturellen Wandels sind an vielen Stellen zu beobachten. Die neue Welthaltigkeit der Kunst ist eine davon.
Das Verhältnis der Kunst zu der Welt außerhalb der Kunst war immer zwiespältig. Jedes Werk erzeugt notwendig interne und externe Referenzen. Es bezieht sich auf andere Werke in der Geschichte und der Gegenwart Kunst. Und es bezieht sich auf Ereignisse und Dinge außerhalb der Kunst. Das Verhältnis von externen und interner, vom Fremd- und Selbstreferenz wurde in der Geschichte der Kunst in den unterschiedlichsten Begriffen diskutiert – an der Frage der Autonomie, der Relationalität ebenso wie am Begriff der Moderne als Avantgarde oder als Abbildung der Alltagswelt. In der Gegenwart lässt sich auf breiter Front eine Wende zur Welt beobachten. Kunstwerke bilden politische oder soziale Verhältnisse, ökonomische Umbrüche und ethnische Differenzen ebenso ab wie Phänomene der Subkulturen oder der kommerziellen Kultur. Kunst kommentiert, dokumentiert, reflektiert. Sie findet ihren Bezugspunkt in einem Außen, und sie wird als Aussage über Verhältnisse außerhalb der Kunst gelesen.
Dieser Weltbezug der Kunst ist ein größeres Umfeld des Wandels eingebettet
Staat und Markt als die zwei Pole der Kunst driften auseinander. Die Institution des Museums ist geschwächt, obwohl immer neue, größere und prächtigere Museen gebaut werden. Der Zeithorizont des Sammelns und Ordnens von Kunst verändert sich. Die sogenannte Öffentlichkeit verliert sich gegenüber der zeitgenössischen Kunst, um aber von themenbezogenen Spektakeln umso stärker angezogen zu werden.
Der Umbruch betrifft nicht die Kunst allein, sondern die Kultur im Ganzen. Denn das Modell einer kulturellen Ökonomie, das seit bald 150 Jahren die kommerzielle Kultur unterhält, nähert sich in den digitalen Datenströmen seinem Ende. Das bleibt für die Kunst nicht folgenlos. Denn die Geschichte der Moderne ist mit der Kultur der Medien auf engste verknüpft.
Kulturwandel
Die Vorstellung einer historischen Ordnung, einer natürlichen Geschichte und Geschichtsbezogenheit der Kultur hat das letzte Jahrhundert ebenso beherrscht wie die Gewissheit, in reproduzierbaren Dingen den unverrückbaren Pfeiler einer Kulturindustrie gefunden zu haben. Beide Fundamente wanken. Ihre Schwäche bedeutet keineswegs ein Ende der Kunst. Im Gegenteil. Es eröffnet neue Wege.
Die Ordnung der Moderne war eine historische. Die Werke wurden entlang der Zeit angeordnet und als Ausdruck einer Zeit begriffen. Diese historische Ordnung hat selbst einen Anfang. Sie setzt sich mit der Epochenschwelle der Wissenschaften und Wissensordnungen um 1800 durch. Die Geburt der Kunstgeschichte ist damit ebenso verbunden, wie die Gründung der großen Museen. Mit der Schwäche der Institution schwindet nun auch die bindende Kraft des Historischen als Ordnungsprinzip. Die Museen engagieren sich für temporäre Ausstellungen, die erstaunliche Karriere des Berufs „Kurator“ verdankt sich dieser Strategie. Die Aufgabe zu speichern und zu konservieren, wird vernachlässigt oder Sammlern überlassen, die mit einem anderen Verhältnis zur Dauer agieren. Sie folgen eher der Logik der Datenbank, die temporär gültige Verknüpfungen schafft, aber das Datum nur noch als eine von vielen möglichen Variablen ansetzt.
Zeitgleich gerät das Modell einer durch technische Medien begründeten kommerziellen Kultur ins Wanken. Aus der Perspektive der Kunst kann das kaum als ein zufälliges Zusammentreffen angesehen werden. Denn die Bewegung der Moderne resultierte gerade aus der Kollision der technischen Bildmedien mit den Institutionen der Kunst. Daher betrifft der Moment, in dem beide, die mediale und die institutionelle Kultur, Schwäche zeigen, die Kunst der Gegenwart im Kern. Erneut eine Ende der Moderne auszurufen, würde die Lage missverstehen. Es geht nicht um eine Ende, eine Markierung in der Zeit, um einen Punkt, der dem „Danach“ der Post-Moderne vergleichbar wäre. Ist es doch gerade das Prinzip des „Danach“, die Ordnung der zeitlichen Aufeinanderfolge, die sich erledigt hat. Die sogenannte Postmoderne stellte innerhalb dieser zeitlichen Logik selbst nur ein finales Ornament dar.
Um zu verstehen, was sich verändert, hilft ein Blick auf die Anfänge. Im 19. Jahrhundert war die Kunst in einem von Salons und Akademien bestimmten Markt erstarrt. Die Bildprogramme der Maler hätten ohne weiteres von den Fotografen übernommen werden können. Aber in der Auseinandersetzung mit den technischen Medien gelingt es der Malerei, sich die Institution des Museums zu sichern, trotzdem oder gerade weil sie an dem technisch überholten Produktionsverfahren handwerklicher, manuellen Bildermachens festhält. Maler geben die Abbildung der Welt auf, in der sie mit der Fotografie ohnehin nicht konkurrieren können. Aber sie erfinden gerade indem sie sich von der Pflicht der Abbildung lösen, eine Reihe stilistischer Neuerungen, die sich jeweils als neue Avantgarde in die historische Ordnung der Museen eintragen. Was als Revolution der Moderne stilisiert wird, stellt sich anderes besehen als eine Anpassungsleistung der Maler an die Institutionen der Kunst dar. Es geht um nichts anderes als das Neue selbst, denn das jeweils Neue bedient die historische Anordnung der Museen. Die Bewegung der Moderne stabilisiert sich in einem Zusammenspiel von Markt und Museum, in dem Sammler etwas Neues entdecken, dem Museen nachträglich Geltung verschaffen und dabei den Markt durch ihre Ankäufe stabilisieren.
Das „Neue“ verwirklicht sich als Selbstbezug von Kunst auf Kunst. Um als neu zu gelten, muss ein Bild nichts anderes zeigen, als einen Unterschied zu allen anderen, alten Bildern. Die Bewegung, in der die Maler das Neue suchen, gleicht nicht von ungefähr einer Flucht vor der Fotografie und deren Zwang zum Abbild. Das führt bis zum Beginn des 20. Jahrhundert zur völligen Abstraktion. Die Kunst, sichtbare Welt abzubilden, spielt von da ab in der Malerei nur noch eine zu vernachlässigende Rolle. Sie überlassen diese Funktion den technischen Medien Fotografie und Film. So entstehen zwei voneinander geschiedene visuelle Kulturen. Eine kommerzielle, deren ökonomisches Fundament in den neuen Bildtechnologien liegt, und eine künstlerische, die auf dem althergebrachten Produktionsverfahren beharren kann, weil sie damit ihre Institution und deren historisierende Ordnung bedient.
Der Selbstbezug in der Kunst bleibt seitdem eine beherrschende Strategie. Was mit den Bildern beginnt, setzt sich danach durch alle Medien fort, die sich die Kunst aneignet. Dass sich heute der Zwang zur Selbstreferenz im Künstlerischen wieder lockert, hat wiederum – wie zu Beginn der Moderne – mit einer Wende der kommerziellen Kultur zu tun.
Das kulturelle Modell des Kapitalismus entsteht zeitgleich mit der Moderne im ausgehenden 19. Jahrhundert. Beide lasen auf denselben technischen Grund zurückführen, die Moderne negativ, die kommerzielle Kultur positiv. In der Schallplatte und im Kinofilm werden Speichermedien zur Ware. Was Speicher zu hören und zu sehen geben, dient auf dem Markt als Motiv, um die Waren zu erwerben. Die im frühen 19. Jahrhundert noch ungeheuerlich erscheinende Vorstellung, ein Ding zu erwerben, um Bilder oder Töne zu besitzen, begründet das kulturelle Geschäftsmodell des 20. Jahrhunderts. Die neuen medialen und kommerziellen Kulturen treten in Konkurrenz zu den tradierten halbstaatlichen Institutionen, die das Repertoire des Feudalismus im Modus der Aufklärung fortschreiben. Ihr Hegemonieanspruch schwindet allmählich. Sie bestehen an ihren angestammten Orten fort, als Opern, Konzerthäuser oder Museen in der spätfeudalen Form alter und moderner Palastbauten. Eine Ausstellungsform wie die Biennale führt in ihren Pavillons die Konkurrenz der nationalen Staatskulturen vor.
Das auf den Speichermedien des 19. Jahrhunderts beruhende Geschäftsmodell der kommerziellen Kultur nähert sich mit dem Beginn des 21. Jahrhunderts seinem Ende. Denn der Wert der Speicher, auf dem sie sich begründet, vergeht in den digitalen Datenströmen. Daten jeder Art lassen sich von jedem Nutzer kopieren und versenden. Die Musikindustrie wird von diesen Veränderungen zuerst betroffen, aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich die Filmindustrie dem gleichen Phänomen ausgesetzt sehen wird. Das bedeutet nicht, dass kommerzielle Kulturproduktion insgesamt nicht mehr möglich sein wird. Neue Geschäftswege werden sich finden, die mit bisher unbekannten Ökonomien von Zeitwert und Verteilungszentren einher gehen werden. Sie werden so ungewohnt erscheinen wie vor anderthalb Jahrhunderten die Vorstellung, Dinge zu erwerben, um Musik zu hören.
Die eigentlich auf handwerkliche Tradition zurückgehende und überholte Produktionsform der Künstler wird mit dieser Wende unversehens wieder virulent. Denn wenn die Reproduktion entwertet ist und wenn die kulturelle Wertschöpfung nicht mehr bei der Vervielfältigung und dem Vertrieb ansetzt, erfährt das Original in einem neuen Sinn Bedeutung. Es handelt sich dabei nicht um jenes als materielles Objekt fetischisierte Original des Kunsthandels, sondern um die Einzigartigkeit einer Erfindung, einer Idee. Ihr Wert ergibt sich in der Aufmerksamkeit, die sie auf sich zieht. Die Quelle, der sie zugeordnet wird, kann variieren. In den digitalen Datenströmen bleiben Produzenten oft anonym oder agieren unter wechselnden Adressen und Aliassen, in der Kunst ordnen sie sich, einer alten Tradition folgend, dem Formt des Namens unter.
Zeit und Namen
Der Name ist die Kurzform der Kunst. Groß- und Gruppenausstellungen bündeln Namen zu Listen. Auf keiner Anzeige, keinem Katalog, keiner Einladung fehlen die Namen. Der Name steht vor dem Werk. Oft genug kommt es vor, daß Arbeiten unbesehen angekauft werden, allein um des Namens willen. Sammlungen genauso wie Themenausstellungen werden oft nicht nach Inhalten konzipiert, sondern als Namensliste. Im Vorfeld von Großausstellungen zieht die Bekanntgabe dieser Liste denn auch mehr Aufmerksamkeit auf sich als der Inhalt der Ausstellung.
Was hat es mit den Namen und der Kunst auf sich? Woher rührt der Eigenwert von Eigennamen und was sagt er über Kunst als Kultur? Jede kulturelle Form pflegt ihr eigenes Verhältnis zu Namen. Wo Autoren traditionell als Rechteinhaber gelten, werden sie prominent genannt. Die arbeitsteiligen Produktionsweisen der Medienkultur verschieben sich dieses Verhältnis. Solange Musik nach Noten gespielt wird, zählt der Name des Komponisten. Danach werden Interpreten wichtiger. In der Geschichte des Films treten nacheinander der Name der Produktionsfirma, der des Schauspielers und der des Regisseurs an die Spitze. Dort gehorcht der Einsatz von Namen den Erfordernissen des Werbung. In anderen kulturelle Bereichen werden Namen kaum genannt, etwa in der Industrie der Computerspiele oder bei der Werbefotografie.
Auch die Geschichte der Kunst kennt unterschiedliche Epochen in der Bewertung der Eigennamen. Im Mittelalter, einer Zeit die heute so namenlos erscheint, haben Bildhauer ihren Eigennamen groß über Kirchenportale gemeißelt. Aber ihnen fehlt ein entscheidendes Element. Man weiß nichts über die Person, denn es gibt zu Werk und Namen keine Biografie. Die Kunstgeschichte in einem Sinn, der dem heutigen Verständnis nahe kommt, beginnt mit Vasari und den Biografien der Künstler. Hier hat die Macht der Namen ihren Ursprung.
Der Name ist ein Metadatum zum Werk, sein Gebrauch und sein Erscheinen eine Frage des Formats. Der Name der Künstlerin oder des Künstlers sagt mehrerlei. Er ist zugleich Biografie, Produktbezeichnung, Handelsmarke, sein Gebrauch gehorcht den Gesetzten des Marktes wie denen des Museums. Es steht dem Autoren nicht frei, seinen Namen aufzugeben. Die künstlerische Arbeit bringt den Namen hervor und sie lädt ihn mit Wert auf. Das Verhältnis kehrt sich um. Der Name beherrscht den Künstler und das Werk. Es ist nicht möglich, aus dem Schatten des eigenen Namens herauszutreten. Nicht einmal die Trennung von Leben und Arbeit lässt der Name des Künstlers zu. Er besitzt keinen „doppelten Körper“. Leben und Kunst werden von der Gewalt des Namens zusammengezwungen.
Die Macht des Namens hat Vorteil und Nachteile. Sie verleiht den Künstlern eine Position, die sie jeder Kontrolle zu entbinden scheint. Anders als in den meisten kulturellen Produktionsweisen, in denen Namen, Autoren und Entscheider in mehr oder weniger komplexe Produktionsprozesse eingebunden sind, gibt die Macht des Namens den Künstlern eine scheinbar unanfechtbare Position. Die Autonomie besteht indes nur nominell. Denn so wie der Name erst erzeugt werden muss, kann er im Betrieb auch wieder entwertet werden.
Die Namen führen ein Eigenleben. Die Biografie, die das Leben mit dem Namen vereint, kann nur im Nachhinein geschrieben werden, wenn das Werk den Namen rechtfertigt. Alle Beteiligten am System der Kunst – der Markt, die Händler und Galeristen, das Museum, die Sammler, die Künstler selbst – verwenden einen oft sehr beträchtlichen Teil ihrer Arbeit darauf, Namen aufzuladen. Der Name wird damit zum vorrangigen Format der Unterscheidung.
Zum Beginn der Moderne war es üblich, Namen zu Stilen gruppieren. Seit einigen Jahrzehnten tauchen derartige Bündelungen kaum mehr auf. Das deutet als Indiz auf die Schwäche des historisierenden Ordnungsprinzips hin. Wenn die Differenz des Neuen gegen das Alte als maßgeblich gilt, gelingt es eher Gruppen als Einzelnen, die Distinktion zu nutzen. Schwindet der distinktive Wert des Neuen, so verbleibt einzig das Kriterium des ungerichteten Unterschieds. Diese Situation stellte sich nach dem Ende der klassischen Moderne ein. Die Kunst der letzten Jahrzehnte war von einer weitreichenden Zersplitterung gekennzeichnet. Jeder einzelne Künstler sieht sich in einen allseitigen Wettbewerb von Distinktionen gedrängt. Der Meer aller Möglichkeiten wird ausgeschöpft, bis im Gesamtbild ein entropisches Rauschen zurückbleibt, ein sanftes Meer voller vieler kleiner Wellen. Der einzige merkliche Unterschied findet sich an den beiden Ufern, die dieses Meer begrenzen.
Staat und Markt
Seit geraumer Zeit macht sich eine Spaltung zwischen zwei Bereichen innerhalb der Kunst bemerkbar. Das Zusammenspiel von Museum und Markt, das sich in der Frühgeschichte der Moderne bewährt hat, bricht auseinander. Gemessen an der Zahl der Neubauten, scheint die Macht der Museen zu wachsen. Tatsächlich schwindet sie, denn die Institutionen verfügen kaum noch über die laufenden Mittel, um eine eigenständige Sammlungsstrategie zu verfolgen. Die Paläste sind leere Hüllen. Museen gehen dazu über, ihre Räume privaten Sammlungen zu überlassen. Die subventionierte Kultur flüchtet nach vorne und agiert mit temporären themenorientierten Ausstellungen, nicht zuletzt um ihre eigen Existenz zu legitimieren. Das führt zu einer bemerkenswerten Umkehrung. Das Speichern, das anfangs als vorrangige Aufgabe der Museen angesehen wurde, verlagert sich in die Hände von Privatleuten. Dagegen beginnen die Institutionen, zeitlich begrenzt zu agieren und verzichten auf teure Ankäufe. Am deutlichsten äußert sich diese Politik der Institutionen in der gewachsenen Macht der Kuratoren und der damit verbunden temporären, event-artigen Ausstellungspraxis. Abhängig vom verkürzten Zeithorizont der Staatskultur entsteht in der Kunst ein neuer Konzeptualismus. Oft genug werden neue Inhalte von Kuratoren im halbstaatlichen Auftrag gefördert, während sich Sammler eher damit zufrieden geben, marktfähige Trends in der Logik eines Börsenspiels zu unterstützen. Welche Position sich als nachhaltig erweisen wird, hängt ganz wesentlich davon ab, ob die Institution des Museums sich auf seine Macht als Speicher besinnt, selbst dann, wenn er nicht mehr im Namen der Geschichte angeordnet ist.
Das Auseinanderdriften von Staat und Markt macht sich bis in die einzelnen Werke hinein bemerkbar. Staat und Markt fordern und fördern unterschiedliche Produktionsweisen. Auf beiden Seiten herrschen unterschiedliche Rituale. Im Raum, als dem gemeinsamen Format der Kunst, begegnen sie sich noch, aber sie haben sich von dort in zwei Richtungen voneinander entfernt. Je größer die Sammlung, desto nachhaltiger muss sie angelegt werden. Das Sammeln setzt sich eine künstliche Grenze, innerhalb derer nach Vollständigkeit gestrebt wird. Es beschränkt sich auf ein Segment des am Markt Verfügbaren und versucht dort Werte zu erwerben, um sie entweder zu gehobenen Preisen wieder abzustoßen oder in einer musealen Ausstellungsform zu konservieren. Da Kriterium des Neuen und Aktuellen beim Aufbau einer Sammlung eine große Rolle spielt, agieren Künstler erfolgreich, wenn es ihnen gelingt, ihre Werke in die Selbstreferenz eines Trends einzuschreiben.
Der Staat agiert administrativ und inszeniert die entsprechenden Rituale. Ausschüsse und Gremien entscheiden über Anträge von Kuratoren und Künstlern. Namenslisten werden von staatlich entlohnten Ausstellungsmachern zusammengestellt. Im Gegensatz zur Selbstreferenz der Trends geht die Wendung zur Welthaltigkeit vor allem vom staatlichen Sektor aus. Dort begreift man das Verhältnis zu Menschen, Dingen und Ereignissen der Welt als eine Form der Legitimation. Gezwungen, sich den Verfahren der Administration anzupassen, wenden sich Künstler kritisch der Welt der versteckten Auftraggeber zu. Das führt zu dem Paradox, dass gerade die Kunst, die am politisch agiert und sich kritisch Stellung bezieht, sich in der Regel von staatlichen Stellen subventionieren lässt.
Urteile, Betrachter
Mit all der Freiheit und Autonomie hat sich die Kunst der Moderne vom Betrachter und vom ästhetischem Urteil in Gänze befreit. Kunst benötigt beides nicht, weder Ausstellungsbesucher noch deren Meinung. Man zählt zwar das Publikum nach Hunderttausenden, aber sie zählen nicht. Sie haben sich mit verordneten Programm der jeweiligen Ausstellung zufrieden zu geben. Kein Besucher kann mit seinem Urteil Einfluss auf die Auswahl nehmen. Ob ein Werk gefällt oder nicht, bleibt sich gleich. Das Defizit wird nicht in der Kunst, sondern im Betrachter gesucht, und so gilt es als eine wichtige Aufgabe, Kunst zu vermitteln und damit zu erzieherischen Maßnahmen zu missbrauchen. Diese Funktion findet im Konstrukt des Betrachters ihre theoretische Parallele. In der Figur eines imaginierten Ausstellungsbesuchers inszeniert die Rezeptionsästhetik inszeniert beispielhaft eine ästhetische Erfahrung. Sie entwirft damit einen philosophisch entrückten Kontrolldiskurses. Das Publikum tritt den Dingen der Kunst gegenüber wie die Untertanen eines Feudalherren zu den Erwerbungen seiner Schatzkammer. Im Geist der Aufklärung imaginiert man in Museen den Auftrag, dem Betrachter die Kunst nahe zu bringen – eine Kunst, die sich während der Geschichte der Moderne konsequent vom ihrem Publikum entfernt hat. In der Frühzeit der Moderne galt das Urteil der großen Menge geradezu als Kontraindikator. Die Avantgarde bricht mit den Gewohnheiten des Publikums und vollzieht mit jedem Skandal die Entwertung des öffentlichen Aufschreis. Er war der institutionalisierte Modus des Ausschlusses. Die Ironie der Geschichte will es, dass ausgerechnet jene Werke, die anfangs noch den größten Widerspruch hervorriefen, nun als Kanon der Moderne die Besucher in Mengen anziehen. Das liegt nicht etwa an einem zeitlichen Vorsprung vor dem Massengeschmack, sondern schlicht an der Autoritätshörigkeit eines Publikums, das den musealen Kanon als gegeben hinnimmt.
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Es führt nichts an der Einsicht vorbei, dass Kunst eine elitäre Kultur ist. Aber die Begriffe von Masse und Elite taugen nicht mehr, um die kulturelle und gesellschaftliche Lage wiederzugeben. Sie entsprechen dem Stand einer Soziologie, die mit Durchschnitten und Standardabweichungen kalkuliert hat. Bei näherer Betrachtung vervielfältigen sich beide Gruppen in dem selben Maß, in dem sich die Vorstellung einer verbindlichen, einheitlichen Öffentlichkeit auflöst. So wie die Masse in eine Vielheit von Communities und kulturellen Multitudes zersplittert, diversifizieren sich die Eliten in solche des Geldes, der Kultur, der Politik. Die Logik des Kulturellen lässt sich nicht in starren gesellschaftlichen Zuordnungen, sondern eher am Spiel der Distinktionen und Formen, anhand von Agenten und Multiplikatoren und zerstreuten Identitäten beschreiben. Der negative Aspekt des Elitären kehrt sich dabei um. Gerade weil sie in einer Vielzahl von kulturellen Nischen agiert, ohne ökonomisch in dei kommerzielle Kultur eingebunden zu sein, besitzt Kunst das Potenzial und die Distanz, die Gesamtheit des Kulturellen in den Blick zu bekommen. Was vormals als elitär erschien, kann nun zum Kern einer kulturellen Form werden, die eine Vielzahl von Sprachen und Kulturformen integriert.
Material, Inhalt
Was ist das Material der Kunst? Im Gegensatz zu anderen kulturellen Formen, die bestimmte Medien, Speicher und Kanäle nutzen, ist Kunst an keinen sinnlichen oder medialen Rahmen gebunden. Das hat dazu geführt, dass Künstler zwar in keinem Medium mehr ein großes Publikum erreichen, aber in allen Medien agieren können. Die Beschränkung auf bestimmte technische Mittel hat sich immer wieder als Irrweg erwiesen, wie sich am Beispiel der sogenannten Medienkunst illustrieren lässt. Man unterlag dort lange dem Missverständnis, allein schon den Einsatz neuer Technologien und Medien für eine künstlerische Aufgabe zu halten. Die Werke gliederten sich als Testinstallationen in den Ablauf des technischen Fortschritts ein. Und sie gerieten wie die Geräte außer Gebrauch, wenn sie nicht einen über die bloße Ausstellung der technischen Möglichkeiten hinausweisenden Inhalt besaßen. Der gleiche Fehler wiederholte sich in der Netzkunst und dem Wandel der Formate und Protokolle im Internet.
Die neuen Technologien haben alle anderen Kulturformen stärker beeinflusst als die der Kunst. Video, Computer oder das Internet greifen in die ökonomischen Bedingungen der kommerziellen Kultur unmittelbar ein. Im Betrieb der Kunst verhelfen sie bestenfalls einen symbolischen Distinktionsgewinn. Medien und Technologien sind nicht das Material der Kunst.
Am ehesten benennt der Begriff der „Appropriation“, der Aneignung, worin das Material der Kunst bestehen könnte. Anfangs bestand das Ziel der Aneignung in der Selbstreferenz von Kunst auf Kunst und deren Beziehungen. Aber die Logik der Aneignung hat längst den engen Kreis des Selbstbezugs verlassen. Sie findet ihre Quellen außerhalb der Kunst. Aus einem regressiven Modell wird ein allgemeines Prinzip, das es der Kunst ermöglicht, sich nahezu beliebiges anzueignen – seien theoretische Konstrukte, Bilder, mediale Figuren, Comichelden, politische Interventionen. Das Medium, in dem die Aneignung vollzogen wird, ist sekundär.. Es richtet sich nach der Quelle und der Aussage.
Durch die Strategie der Aneignung sieht sich die Kunst in die privilegierte Position eines Beobachters versetzt. Sie ist in der Lage beliebige kulturelle und politische Phänomene aufzunehmen und nach ihren eigenen Regeln zu verarbeiten.
Im kulturellen Umbruch unserer Zeit könnte sich gerade das Produktionsmodell der Kunst, so überholt es auch lange Zeit gegenüber den medialen Kulturen erschien, als zukunftsweisend herausstellen. Dafür sind drei Faktoren verantwortlich: die institutionalisierte Dauer, das tradierte Modell der Autorenschaft und die Möglichkeit, sich beliebige Inhalte über Mediengrenzen hinweg anzueignen.
Im Gegensatz zu einer medialen Kultur, die Aufmerksamkeit kurzfristig erregt, ohne ihr einen Speicher und damit eine Form der Dauer gegenüberstellen, erfordert Kunst ein ungleich größeren Zeitbewusstsein. Weil die Werke dokumentiert, gespeichert und erinnert werden, sind sie aus der laufenden Zirkulation des immer Aktuellen herausgehoben.
Das Modell der Autorenschaft, so absurd es sich im Umlauf der Namen auch bisweilen äußert, gewinnt mit dem Zusammenbruch der medialen Vertriebswege in der kommerziellen Kultur eine neue Stellung. Entbunden von der Macht der Reproduktions- und Vertriebsindustrie, entwickelt sich dort im Autoren von neuem eine Position, die der des Künstlers gleicht. Das Original, lange ein Relikt einer überholten Produktionsform, gewinnt eine neue Bedeutung, wenn Reproduktion und Vertriebs entwertet werden. Es gewinnt die Nähe zum Autor, weil kein Ding mehr Quelle und Nutzer trennt.
Die Übergang von den alten Medien in die digitalen Datenstrom schließlich führt dazu, daß Inhalte quer über alle medialen und sinnlichen Grenzen verbunden werden. Die mediale Konvergenz läuft parallel zu den Strategien der künstlerischen Aneignung.
In einer sich verändernden Kultur, die das ökonomische Modell des letzten Jahrhunderts hinter sich lässt, kann die Kunst eine neue Stelle einnehmen, indem sie die Welt in ihrer Vielsprachigkeit aufnimmt und abbildet.